■ Press-Schlag: Das unbekannte Wesen
In München gibt es einen, über den können sie sich köstlich amüsieren. Der spielt Fußball beim FC Bayern, und wenn er das tut, dann geht er spazieren im Angriff der Ruhmreichen, als lustwandle er durch die Einkaufspassage in der Fußgängerzone. Der stürzt bisweilen durch die gegnerischen Abwehrreihen, als seien dort Stolperdrähte gespannt, und wenn er lustig ist, dann versucht er, den Ball schon mal im Hechtflug mit der Hacke ins Tor zu befördern. Das ist toll, und dann lachen sie in München droben auf der Tribüne und denken sich wohlmeinend: Ha, so sind sie eben, die Südamerikaner. Ja, gewaltig kann die integrative Kraft des Sportes sein. Am Samstag in München zum Beispiel wurde Adolfo Valencia aus dem fernen Kolumbien der geballten bajuwarischen Gastfreundschaft teilhaftig, weil er für den FC Bayern ein Tor geschossen hatte, was half, den 1. FC Köln 1:0 zu besiegen. Das war eine gute Tat. Und wer Gutes tut als Fußballprofi, der wird selbst im Bayernland befragt nach den tieferen Geheimnissen des Erfolges. Im Falle Valencia ging das so: „Schmeckt Ihnen das bayerische Bier besonders gut?“ Oder: „Feiert man in Kolumbien auch Ostern?“
Beschwerlich ist bisweilen die Annäherung an das Unbekannte. Warum allerdings manche Teutonen beim Zusammentreffen mit fremdländischen Zeitgenossen noch immer dazu neigen, gleich verbal mit Nüssen zu werfen, ist verwunderlich. Und interessant wäre es schon gewesen, wie wohl Lothar Matthäus reagiert hätte, hätte man ihn nach getaner Arbeit über Osterbräuche und Hopfentee befragt. Aber Adolfo Valencia, auch darüber sind sie sich in München einig, ist eben anders. Das fängt schon damit an, daß er aus einem Land kommt, in dem es immer warm ist. Weswegen sie es dem Mann aus Bogota im herbstlichen München auch nicht weiter nachgesehen haben, daß er wenig Sehenswertes auf dem Fußballplatz zu Wege brachte. „Der kommt, wenn es wärmer wird“, hat Manager Uli Hoeneß orakelt. Und siehe: Es ward Frühling in Deutschland, und Valencia traf. Zwölfmal hat er mittlerweile ins Tor geschossen, gegen den Hamburger SV und Köln gelangen ihm die entscheidenden Treffer. Das Wetter, gell Adolfo? Nö, sagt der, „das liegt nicht an der Kälte, sondern an der fehlenden Konzentration. Wenn ich ruhig bin, schieße ich immer im richtigen Moment.“ Ach so, klaro. Leichtlebig ist der Südamerikaner, gell. Salsa, Samba und so. Nö, sagt Valencia: „Das Wichtigste ist ein guter Trainer, eine gute Mannschaft und die familiäre Unterstützung.“
Mist! Klingt alles irgendwie gar nicht südamerikanisch. Ist aber egal dieser Tage in München. Ein lustiger Vogel ist „unser Adolfo“ (Hoeneß) trotzdem. Zum Beispiel hat der Manager festgestellt, „freut sich die Mannschaft diebisch, wenn der mal ein deutsches Wort rausbringt.“ Besonders ulkig war es deswegen gestern beim Training, als Fernsehmenschen Valencia den heutigen Bayern- Gegner Borussia Mönchengladbach aufsagen ließen. Aber auch bescheidenere Aufgaben sorgen laut Hoeneß für Heiterkeit: „Der Saal tobt, wenn er sagt, ich komme aus München.“
Ach ja, die Sprache. Zu faul war Valencia bislang, Deutsch zu lernen. Doch nun habe sein Lerneifer zugenommen, hat Hoeneß jünst vermeldet. Sogar Lothar Matthäus scheint beeindruckt von den Fortschritten Valencias. „Der weiß ganz genau, was auf dem Tisch liegt“, sagt er, „da kennt er sich aus.“ Und vielleicht wird sich Matthäus nun künftig hüten, Valencia als Objekt flachsinniger Witzchen zu mißbrauchen („Unser Schwarzer hat so 'nen Langen“), weil der Kolumbianer verstehen könnte, was die Kollegen über ihn reden. Vielleicht aber interessiert Valencia das Geschwätz der anderen auch gar nicht. Genauso wie doofe Fragen. „Werden Sie nun noch besser, wenn es wärmer wird?“ wollte einer am Samstag wissen. „Ich bin stolz, bei Bayern zu spielen“, übersetzte die Dolmetscherin als Antwort und befand, „was er damit sagen will, weiß ich auch nicht“. Vielleicht war es nur die Abwehr eines Klischees. Gerhard Pfeil
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