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Nichts geht mehr unmittelbar

■ Gefressenwerden: Dokumentarvideos zu John Heartfield und Vilém Flusser

Zu spät kommen die Filme über Neue Medien: Die Konterpropaganda John Heartfields ist bereits wieder rückwirkend in die Werbestrategien der Neuen Rechten eingegangen, und Vilém Flusser ist schon seit drei Jahren tot. Geblieben ist nur die Aura des Verfremdeten, Hitler mit Trickfilm-Huhn oder ein wunderlicher Medientheoretiker, der durch die provenzalische Berglandschaft stiefelt und den Menschen als informationsspeicherndes Wesen erklärt.

„Zygosis“ – ein kompliziertes Wort, hinter dem sich die Verschmelzung von Eizellen verbirgt – will auf einer knappen halben Stunde Länge die politische Medienpraxis von John Heartfield im Suchlauf quer durchs Dritte Reich zusammenfassen. Der Titel sucht programmatisch den Vergleich mit einer scheinbaren Natur der Bilder, die in all ihren Ausformungen künstlich bleibt. Gerade in der Montagetechnik würde diese Kluft zutage treten, und fast nebenbei auch den Umgang der Nationalsozialisten mit avancierten Massenmedien wie Film, Demonstrationsmärschen und Radio entlarven – als ließe sich bereits mit zwei konträren Bildern die Struktur der NS- Propaganda aus den Angeln hebeln. Und wollen die Agitprop- Collagen tatsächlich nur zeigen, daß Filmkamera und Fotoapparat ebenso wie die Schreibmaschine lügen können, so im Rückgriff auf Bertolt Brecht?

Bei Heartfield wird der konstruierte Bruch selbst zum Medium. Anders als im Dadaismus stellte er den Schock nicht mit einer wilden Ästhetik dar, sondern als politics of the absurd (Gavin Hodge) und begab sich dabei auf Schlingerkurs. „Blut und Eisen“, sein Hakenkreuz-Arrangement aus bluttriefenden Äxten bleibt zu gleichen Teilen abstoßend und affirmativ, weil eben jene angeklagte Politik der Gewalt mit einer ebensolchen Ästhetik korrespondieren konnte. Die Bücherverbrennung war eine genau geplante Inszenierung.

Das Vertrauen auf den richtigen Leser wirkt heute zumindest sehr naiv. Der Dokumentarfilm von Gavin Hodge, Mitinitiator der englischen Videogruppe Gorilla Tapes, scheitert an denselben Problemen mit der Darstellung. Wenn Hodge Hitler auf dem Reichsparteitag ein Huhn per Computer unterjubelt, verkennt er den Kontext der Rede und zeigt lediglich eine Parodie auf die Person. Daß er in Klaus Staecks Karikatur von Franz Josef Strauß als Schlachtermeister die Nachfolge Heartfields ausmacht, liegt zwar nahe, die Werbung – von Benetton bis Diesel- Jeans und Otto-Kern-Family – arbeitet inzwischen allerdings mit denselben Mitteln.

Michael Bielickys Hommage an Vilém Flusser erinnert mehr an einen Urlaubsbesuch. Der Philosoph hat den Filmemacher zu einer sommerlichen Partie auf sein Landhaus eingeladen. Zu Beginn wackelt die Videokamera noch ein bißchen deplaziert und ungelenk vor der Knollennase des Theoretikers herum, sucht nach Tiefenschärfe, findet aber Flusser nicht, und richtet sich dann irgendwo zwischen dicker Hornbrille und den umgebenden Pinien und Zedern ein. Flusser jedoch weiß sich auch im Gespräch zu verstecken, redet ununterbrochen, und läßt zugleich die Sätze auf halbem Wege verklingen. Wo Bielicky nach den Konturen seines Gegenüber sucht, hat dieser sich längst schon im Text verflüchtigt, das Portrait wird zum Monolog. Während die Aufnahmen noch probeweise wackeln, hat der graubärtige Alte die Gunst des Mediums erkannt und an der Bildführung vorbei in die Unruhe hineingesprochen. So erzählt er im Intro binnen fünf Minuten ungeschnitten eine ganze Anthropologie daher: Von Ur-Menschen in einem frühen Arkadien, das sich in der Eiszeit als leicht erhöhte Insel über den gesamten Mittelmeerraum erstreckte. Schöner soll diese Zeit gewesen sein, als jene ersten Malereien es belegen, die man viel später in den Höhlen von Lascaux ausgemacht habe. Am Anfang der Kultur war alles zeichenlos zwischen Mensch und Tier, ein ständiges Fressen und Gefressenwerden. Aufregend, aber gefährlich echt. Erst mit der Fähigkeit, Informationen entgegen seiner natürlichen Anlagen zu speichern, löst sich der Mensch aus dieser Unmittelbarkeit. Danach ist nichts mehr schön und alles interessant.

Den Rest fädelt Flusser als die Geschichte technischer Revolutionen auf – vom Ursprung der Schrift (als Synthese aus oraler und materieller Kultur) zum contrat social bis hin zur telematischen Gesellschaft, die innerhalb der Programmiersprachen formal statt ideologisch denkt. All dies erklärt er mittlerweile am Fenster seines Häuschens oder im Garten sitzend, doch immer noch rastlos und ohne Pause. Fragen stellt ihm Bielicky keine, nur kapitelweise werden einige Thesen zwischen den Ausführungen eingeblendet, wie Leerrillen auf einem Greatest-Hits-Sampler der späten achtziger Jahre.

Probleme macht sich der Philosoph jedoch auch ungefragt. Seine Hypothese „Alle Revolutionen sind technische Revolutionen“ gelte es gerade angesichts der Veränderungen in der UdSSR noch einmal zu überdenken. Denn Flusser hat sich geirrt. Nicht Technik, sondern Tradition bewegt die Menschen in der Ex-Sowjetunion vorwärts. Das „Experiment der Kommunisten“ – Familie, Klasse, Staat und Volk aufzuheben – sei gescheitert, die aufgeklärte Kommunikation habe nach der 91er Revolution die „Drachenbrut“ des Nationalismus zutage gefördert. Auch Technik könne eine fehlende Moral nicht ersetzen, so das Resümee des begeisterten Medientheoretikers, der auf seinen Spaziergängen durch die Provence sehr dem gestrandeten Jean-Jacques Rousseau ähnelt. Harald Fricke

Gavin Hodge: „Zygosis – John Heartfield und die politische Darstellung“. GB 1991, 26 Min.

Michael Bielicky: „Vilém Flussers Fluß“. BRD 1993, 45 Min.

Beide Filme sind als Video über 235 Media, Köln zu beziehen.

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