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„Außer Atem“ auf schwul

Der wahre Aidsfilm: Arakis „The Living End“  ■ Von Hans-Hermann Kotte

Luke, Typ Schaufensterdekorateur, schön wie ein Centerfold und nicht der Hellste, geriert sich als Punk. An Parkhauswänden bringt er ebenso kokett wie risikolos Graffiti an: „I blame society“. Ohne festen Wohnsitz hangelt er sich von Mann zu Mann.

Jon, linksliberaler Filmkritiker irgendeines Stadtmagazins, läßt von einem Tag auf den anderen Redaktionsschluß Redaktionsschluß sein und sogar die junge „Schwulenmutti“, seine beste Freundin, im Stich. Das Diktiergerät bespricht er mit schwarzen Gedanken, am Auto klebt der Sticker „Choose Death“.

Die beiden Endzwanziger aus L.A. gehören zum selben „Club“, wie Luke sagt. Beide Männer wissen, daß sie HIV-positiv sind. Und sie verlieben sich ineinander. „The Living End“ von Gregg Araki thematisiert ihren Umgang mit dem Testergebnis – eine komische und verzweifelte Flucht mit dem Auto vor Beileid und Beratung, eine selbstinszenierte Höllenfahrt, natürlich mit Kreditkarte. Der gern als „erstes Aids-Roadmovie“ bezeichnete Film ist so eine Art „Außer Atem“ auf schwul, Yuppie- Trash der späten Republikaner- Ära. „Wetten, daß sie sofort ein Wundermittel parat hätten, wenn wir Bush ein bißchen von unserem Blut einspritzen würden?“ Kein rührendes Erklärstück, kein ätherisches Testament, keine Aidskunst mit geadelten Opfern.

Nachdem ihn sein Arzt gesagt hat, daß er noch einige gute Jahre vor sich haben könnte, übergibt sich Jon auf der Toilette. Danach fährt er aufgedreht durch die Stadt. Die tröstlichen Umarmungen seiner Freundin Darcy können ihn nicht halten, der Artikel über Derek Jarman bleibt liegen. Irgendwann liest er Luke auf, der am Straßenrand trampt. Bald kann Jon auf seinem Computer nur noch ein Wort tippen: Fuck, Fuck, Fuck. Und das tun sie auch. So ziemlich ständig und überall.

„The Living End“ ist ein pathetischer Film, der gleichzeitig das Pathos der Infizierten ironisiert. Politische Korrektheit persifliert Gregg Araki auf politisch korrekte Weise. Ebengeradenoch haben sich Luke und Jon versichert, daß sie anders als die anderen sind („Wir haben nicht so viel Zeit“), da riskieren sie schon den Rest. Blow Job bei Vollgas. Gegen die Sinnlosigkeit hilft nur eine gute Portion Maßlosigkeit.

Ein Lesbenduo im roten Cabriolet schaukelt durch die Gegend und bringt aus Spaß Männer um. „Töte ihn nicht, bevor ich vom Pissen zurück bin.“ Luke entkommt den beiden Frauen mitsamt deren Auto und wirft mit Wonne die K.-D.-Lang-Kassetten in den Straßengraben. Drei Schwulenhasser mit Baseballschlägern mäht Luke mit seiner Automatic nieder, einem pöbelnden Neonazi spaltet er den Schädel mit dem Ghettoblaster, bis beide keinen Mucks mehr tun. Luke, der Rächer der Perversen. Natürlich kann das Heteropärchen im Bett nur labern, nicht ficken. So ist es richtig. Und logo: den bisexuellen Mann ereilt das gerechte Schicksal in Form eines Messers in „Psycho“-Dimension. Jon und Luke sind unterwegs Richtung San Francisco. Denn der Blonde mit der großen Handfeuerwaffe hat auch noch einen Cop erschossen. Der verrückte Prolet, der ständig Binsenweisheiten von sich gibt, paßt Jon gut ins Drehbuch nach der Diagnose. Kurzurlaub in Endzeitstimmung.

Schluß mit Lustig ist erst, als Luke das Tempo steigert. Er ballert noch sinnloser in der Gegend herum und vögelt am liebsten mit der Waffe im Mund. Jon will sich trennen, da schlägt Luke ihn nieder und fesselt ihn zum Todesfick. Doch es macht nur klick, keine Patrone mehr im Magazin. Da sitzen sie erschöpft gemeinsam am Strand im Sonnenuntergang, Ende offen. Irgendwie werden Luke und Jon zurückkehren. Ohne schweres „You can run, but you cannot hide“. Das macht „The Living End“ erträglich.

„The Living End“. Buch, Regie, Kamera und Schnitt: Gregg Araki. Mit Mike Dytri und Graig Gilmore. USA 1991, 90 Minuten.

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