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Helden auf Bestellung

■ Jenseits aller Absperrungen: Take That in der Berliner Deutschlandhalle

Am Ende hatte eine Kollegin taube Ohren und fühlte sich genauso glücklich wie die tausendköpfige Schar Fünfzehnjähriger um sie herum. Alles war wie Rock-'n'-Roll-Rebirthing gewesen – viel größer als bei Nirvana: Die Hundertschaften an den Absperrungsgittern vor der Deutschlandhalle, die Take That vor ihren Fans schützen sollten; strikteres Alkoholverbot noch als auf den gefürchtetsten Fußballschlachten; keifende Mädchen, die mit niederländischen Buttonverkäufern wegen der unverschämten Merchandise- Preise im Clinch lagen; und spontane Ohnmachts- oder Hysterieanfälle, mit denen die notärztliche Versorgung kurzfristig lahmgelegt werden konnte: Statt Teen-Spirit ein gewaltiges Inferno, für das allein schon alle gerne die knapp 50 Mark Eintritt bezahlt hatten.

Vielleicht hat unsereins den Wandel nicht mehr ganz mitvollzogen während der letzten 20 Jahre. Zu Hause hatte damals die NDR- Sendung „Einmal Moderator sein“ positiv sozialdemokratisch zum Mitmachen animiert. Heute wollen alle nur einmal Fan sein, und wissen doch nicht so recht von wem: Musik kommt aus der Maschine, mit der man auch im Jugendzimmer tagtäglich schreibt, spielt, lernt und lebt. Da entsteht kaum ein Überhang an Begehren, der die Teens aus der Kleinfamilie hinaus auf die Straßen treibt, Cliquen bilden läßt und Jungs und Mädchen zum erstenmal miteinander vermischt.

Die Grenze verläuft eher entlang der T-Shirts: „Take my back“ steht einer kleinen Pausbäckigen aufgedruckt, während ihre langaufgeschossene Freundin ein deutliches „DOS or Die“ auf Microsoft-blauem Grund austrägt – ziemlich unantastbar. Dennoch haben sie eine gemeinsame Fahne für Take That ausgerollt: „I want to feel you Mark & Robbie“.

Aber das mit den Gefühlen ist ja auch bloß Spiel, wie das Werfen mit Plüschtieren. Eigentlich will man die Helden am liebsten auf Distanz, als bessere Projektionsfläche für Wünsche: als Bestellposter über dem Bett.

Sobald nun die vier Traumtypen oder selbst Gary, der babyspeckgesichtige Hauptsänger von Take That, verschmitzt von der Bühne grinsend um ein bißchen echte Zärtlichkeit bitten, kreischen die Mädchen lautstark gegen die Forderungen ihrer Stars an – vielleicht auch, um die Widersprüche ihrer jugendlich-ungestümen Leidenschaft auszuhalten.

Robbie jedenfalls empfindet ähnlich. Zur Hälfte der Show, die laut BZ-Stimmungssample „irre, 800 Kilowatt Licht, rasche Kostümwechsel, Tanzeinlagen vom Feinsten, toll!“ war, parodiert er die eigenen Versprechungen: „Mir ist unheimlich heiß hier oben. Wer kommt zu mir hoch und kühlt mich ab?“ Der Sonnyboy im Zeichen des Pop verfremdet sich die Wünsche selbst. Wahrscheinlich kommen solcherlei Erfahrungen automatisch mit dem Erfolg – ohne zu wissen, was man tut: In Wirklichkeit findet Howard sich nicht besonders attraktiv, und Mark geht das eigene Lächeln manchmal auf die Nerven; Robbie ist nicht gut im Bett, der Penis von Jason ist kleiner als vermutet, und Gary fühlt sich mit 21 Jahren bereits ungemein square, wie sie dem Face-Magazin freimütig erzählt haben. Allein es nützt nichts. Take That sind die größte Teeniegruppe seit den Bay City Rollers. Vor der Halle unterhalten sich zwei Freundinnen noch kurz über das Konzert: „Mir tut der Hals weh, und mir tun die Ohren weh“, worauf die andere erwidert: „Mir tut nichts weh. Ich fühl' mich wohl.“ Es wird schön gewesen sein. Harald Fricke

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