■ Morihiro Hosokawa, der Clinton Nippons, tritt zurück
: Der kurze japanische Frühling

Wer immer dem japanischen Premierminister Morihiro Hosokawa gestern gratulieren wollte, weil er mit seinem geradezu freiwilligen und von niemand erzwungenen Rücktritt einen neuen moralischen Standard gesetzt hat, bekam im nächsten Moment Zweifel: War dieses Opfer wirklich notwendig? Hat der offenbar sensible Premierminister zu schnell das Handtuch geworfen? Denn wer nach ihm kann den bislang mit seiner Person verbundenen Reformprozeß in Japan fortsetzen? Ein Reformprozeß, der von vielen auch internationalen Beobachtern euphorisch als historische Wende begriffen wurde?

Zum ersten Mal seit dem Krieg hatte Japan mit dem eleganten Fürstensohn aus der südjapanischen Provinz eine Führungsperson gefunden, der von der Bevölkerung akklamiert wurde und deren Mandat unabhängig von allen Parteihierarchien unmittelbar aus demokratischen Wahlen hervorging. Hosokawa selbst war nur der Führer einer einflußlosen, erst vor zwei Jahren gegründeten Partei. Seine Macht beschränkte sich auf sein Amt. Das gab ihm die Entscheidungsfreiheit, bislang unerprobte Reformen einzuleiten. Sowohl in Japan als auch im Ausland gewann Hosokawa dafür das höchste Lob.

Doch keine seiner Reformen ist bis heute vollendet. Zwar verkündete Hosokawa ein neues Geschichtsbewußtsein, doch noch keines der japanischen Schulbücher, welche die Greueltaten der japanischen Armee im Zweiten Weltkrieg nicht erwähnen, wurde umgeschrieben. Zwar dekretierte Hosokawa eine umfassende Reform der Bürokratie, doch noch keine der überalterten bürokratischen Verordnungen ist abgeschafft. Noch warteten alle auf den Wandel im Alltag, als die Vergangenheit Japan bereits wieder einholte.

Hosokawas Rücktritt ist im Detail folgerichtig und konsequent. Denn noch in den achtziger Jahren beteiligte er sich, wenngleich in kleinem Maßstab, an den skandalösen Finanz-Praktiken der Liberaldemokraten, die abzuschaffen seine wichtigste Aufgabe war. Die Japaner weinen ihm dennoch nach: Denn wer immer nun weiterregiert, wird kaum weniger Dreck am Stecken haben. Der Reformauftrag der letzten Wahlen aber könnte über dem nun folgenden Partei- und Personalgerangel leicht verloren gehen. Weder die Person des Nachfolgers noch die Parteienzusammensetzung der nächsten Koalitionsregierung ließen sich gestern voraussagen.

Die unwiderruflichen Veränderungen unter Hosokawa liegen deshalb auf einer anderen, allgemeineren Ebene: Er machte den Homo politicus in Japan als Person identifizierbar. Als erster japanischer Regierungschef nutzte er bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Fernsehen zur direkten Rede ans Volk. Das Dogma von der Unsichtbarkeit der Macht und ihrer Vollstrecker, wie es vom Kaiser und den Führern der Liberaldemokraten immer wieder der Bevölkerung eingeimpft worden war, wich so langsam aus den Köpfen. Hosokawa machte die Demokratie in Japan erst vorstellbar.

Was hieraus folgen wird und kann, bleibt vorerst offen. Georg Blume, Tokio