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Der gute Wille siegt

■ Schola Cantorosa in der Musikhalle

Jedes Kind lernt schon in der Schule, bloß nicht fies zu sein gegen Minderheiten, mehr noch: Die Latte, über die sich künstlerische Leistung zu quälen hat, hängt bei ihnen besser nicht so hoch – denn allein der gute Wille zählt. Das gilt für allem für die Homosexuellen, von denen einige immer noch nicht gerne als Schwule tituliert werden. Beim Hamburger Männerchor Schola Cantorosa verhält es sich genau so: Vor Kritik möge man ihn in Schutz nehmen, es handele sich schließlich um eine Laiengruppe.

So läßt sich berichten, daß am Wochenende nämliche Singgemeinschaft unter dem irreführenden Titel „25 Jahre – Schola Cantorosa schwuler Männerchor Hamburg e.V.“ ein Programm in der Kleinen Musikhalle vorstellte, das zu kritisieren, wie gesagt, gutwilligen Menschen schon im Vorschulalter abgewöhnt wurde.

Ist es denn nicht tragisch genug, daß Schwule schwul sind, und gleichfalls schön, ja erhaben, daß sie sich nun zusammenfinden, um zu singen, ein paar choreographisch inspirierte Schrittchen zu zeigen, hier eine Grimasse zu schneiden, dort ein bißchen Falsett zu schrillen? Ja, das ist fern aller Auseinandersetzung – zumal es das Publikum freut, 600 an der Zahl, das jeden Kiekser noch frenetisch bejubelt, als sei es schon eine Leistung, die Bässe von den Tenören unterscheiden zu können.

Ja, sie sind sogar besser geworden im Gegensatz zum vergangenen Jahr – aber was soll's: Was heißt das schon? Besser, schlechter, mittelmäßig – na und? Im Reservat sitzt noch jede Hand locker, um in die andere zu klatschen – so etwas nennt der Zeitgeist konstruktiv. Tatsache ist jedoch, daß die Zahl „25“ im Titel des Unterfangens auf den Umstand hinweist, daß vor einem Vierteljahrhundert in New York schwule Männer sich gegen Polizeirazzien militant wehrten. „Meine Welt ist der Verein“, sang der Chor, und, gleichsam prophetisch nachsetzend, „es wird nie anders sein.“ So mögen es die Homosexuellen: vereint und vereinlich. Vielleicht war es ironisch gemeint? Wer weiß? Und wen interessiert's? Mehr oder weniger schöne Männer in einer einsamen Welt, Menschen, die sich gefunden haben, lächelnd, sich annehmend, Zuwendung schenkend: Eine grandiose Leistung, gemeinsam erbracht von Zuschaueren und Akteuren – füttern allerdings verboten.

Der Chronik wegen sei berichtet: Im Mittelteil sang der heterosexuell dominierte Sängerbund von 1881 Rothenburgsort, stimmgewaltig, ohne Ballettschrittchen, hehr und mächtig und hier als „Außenseiter“ heftig gefeiert. Davor die Münchner Philhomoniker, die den Hamburgern ähnlich nicht der Rede wert sind, aber auch Beifall bekamen. Man hätte einen Haufen Hühnermist auf die Bühne stellen können – und wäre auch noch um Zugabe gebeten worden, wenn er ganz laienhaft kundgetan hätte, ein tragisches Schicksal hinter sich zu haben. Was für ein friedlicher Abend!

Jan Feddersen

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