„Ochsenfrosch“ klagt gegen Giordano

■ Am Freitag muß der Schriftsteller Ralph Giordano vor Gericht: Er nannte einen Oberstaatsanwalt „Ochsenfrosch“, weil dieser kein Verfahren gegen einen KZ-Aufseher und Mörder eröffnen wollte

Berlin (taz) – Die Spurensuche des Kölner Journalisten Peter Finkelgruen endete im Münchener Vorort Pullach. Lange starrte er vom Auto aus auf das schmucke Altersheim. Unmöglich, auszusteigen, undenkbar, reinzugehen. Finkelgruen hatte Angst. „Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn ich ihm begegnet wäre“, sagt er. Denn irgendwo hinter den Rüschenvorhängen lebt der Mörder seines Großvaters. Unbehelligt von der deutschen Justiz verbringt der 81jährige Anton Malloth, einst Aufseher in der Kleinen Festung Theresienstadt, hier seinen Lebensabend.

„Wir nannten ihn den schönen Toni“, berichtet eine Überlebende. „Vor ihm, diesem Schläger, haben wir alle Angst gehabt.“ Am 10. Dezember 1942 hat „der schöne Toni“ den Juden Martin Finkelgrün mit Knüppelschlägen und Stiefeltritten umgebracht.

Nur zufällig stieß der Enkel auf die Geschichte, die sich als die eigene herausstellte. Im Sommer 1988 las er in einer Zeitungsmeldung, daß der 1948 in der ČSSR als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilte Anton Malloth von Italien in die Bundesrepublik abgeschoben worden war. Ein halbes Jahr später begegnete Finkelgruen dem Namen Malloth wieder: als seine Tante den Mörder seines Großvaters benannte.

Finkelgruen begann zu recherchieren. Und stieß auf die Staatsanwaltschaft Dortmund, die keinen dringenden Tatverdacht ausmachen konnte. Doch er fand Zeugen, die Malloth auf Fotos als den wiedererkannten, der Martin Finkelgrün erschlagen hat. Am 24. Februar 1989 erstattete der jüdische Journalist Anzeige gegen Malloth wegen Mordes – unter Berufung auf einen Augenzeugen. Doch der zuständige Dortmunder Oberstaatsanwalt Klaus Schacht reagierte nicht. Am 18. Dezember lehnte Schacht die Annahme eines dringenden Tatverdachtes ab. Am 14. März 1990 stellte er das Ermittlungsverfahren ein.

Finkelgruen strengte eine Zivilklage gegen das Land Nordrhein- Westfalen an, auf Zahlung von Unkosten, die ihm entstanden waren, als er Aufgaben des Landes wahrnahm: Beweise für die Tat des Malloth zu sammeln. Am 20. Dezember 1991 urteilte das Landgericht Dortmund. Die Übernahme der Ermittlungen durch die Privatperson Finkelgruen entspräche nicht dem mutmaßlichen Willen des beklagten Landes.

In seinem Buch „Haus Deutschland oder Die Geschichte eines ungesühnten Mordes“ beschreibt Finkelgruen die Vorgehensweise des Oberstaatsanwaltes Klaus Schacht, eine Klage von Malloth fernzuhalten.

Der jüdische Schriftsteller und Publizist Ralph Giordano rezensierte am 9. Januar 1993 in der Frankfurter Rundschau: „Es gibt nur ein Interesse der mit dem Fall befaßten Juristen: das Verfahren gegen Anton Malloth niederzuschlagen.“ Erbost ging der Schriftsteller auf einen Film ein, den die ARD zu diesem Fall gedreht hatte. „Dabei erschien auf dem Bildschirm auch der Dortmunder Oberstaatsanwalt Klaus Schacht, ein emotionsloser Ochsenfrosch, dem die Untat ins Gesicht geschrieben stand.“

Das nun möchte sich der „Ochsenfrosch“ nicht gefallen lassen. Mit einem Eifer, den Finkelgruen zuvor so schmerzlich vermißte, wehrt sich der Justizbeamte gegen die Äußerungen Giordanos und Finkelgruens. Er verklagte beide auf Unterlassung. „Das sehen Peter Finkelgruen und ich als einen weiteren dreisten Versuch der Einschüchterung an, mit dem wir aus der Rolle der Ankläger in die von Angeklagten versetzt werden sollen“, schreibt Giordano in seiner heutigen Erklärung. Wie Finkelgruen hat auch er die Unterlassungserklärung nicht unterzeichnet.

Am kommenden Freitag muß sich Giordano nun im Amtsgericht Frankfurt/Main des Verfahrens wegen „Beleidigung und öffentlicher Herabwürdigung eines Oberstaatsanwaltes“ stellen. „Jetzt wollen Peter Finkelgruen und ich diesen Prozeß! Wir wollen ihn um so mehr, als er stattfindet zu einer Zeit, in der der Ungeist des Nationalsozialismus sein fälschlicherweise schon als abgeschlagen erklärtes Haupt frech wie nie zuvor erhebt, der höchste deutsche Gerichtshof die ,Auschwitz-Lüge‘ vom Odium der ,Volksverhetzung‘ befreit hat, gleichzeitig Franz Schönhuber den Repräsentanten der Juden, Ignatz Bubis, den ,größten Volksverhetzer‘ nennt, in Deutschland wieder eine Synagoge gebrannt hat und der 1946 von einem tschechischen Gericht zum Tode verurteilte ehemalige SS-Aufseher Anton Malloth sein beschauliches Seniorendasein in der Nähe von München fortführen darf“, heißt es in Giordanos Erklärung.

Und er steht nicht allein mit seiner Auffassung: Der Schriftstellerverband P.E.N Deutschland und das internationale P.E.N.-Zentrum ausländischer Autoren haben sich gegen die Verfahren gegen ihre Mitglieder Ralph Giordano und Peter Finkelgruen ausgesprochen. Dies sei unangebracht und bedrohlich, schrieben sie an die Anwälte von Klaus Schacht und an den Justizminister von Nordrhein- Westfalen, Rolf Krumsiek. „Wir befürchten, daß die Verfolgung der Anklagen den Kräften des Rechtsradikalismus, die Sie wohl genauso ablehnen wie wir, moralischen Aufschwung und eine falsche Berechtigung geben wird.“ Michaela Schießl