: Verschlungene Pfade ins rechtsextreme Milieu
■ Das soziale Umfeld, dem die vier Angeklagten jeweils entstammen, könnte unterschiedlicher kaum sein, doch rechtsextremistischen Parolen hingen alle an
Bei den Nachbarn war Christian R. (17) wegen seines „ausländerfeindlichen Gelabers“ wohlbekannt. Auch in seiner Hauptschule fiel er mit Sprüchen wie „Deutschland den Deutschen“ auf – seinen Unterarm zierte schon mal ein Hakenkreuz. Wie ein ausgetrockneter Schwamm hat der Junge, der sich in der Schule jeder Diskussion über Fremdenfeindlichkeit und Rassismus entzog, die rechtsradikale Soße aufgesogen. Von der Polizei nach einem Tip aus der Solinger Jugendszene kurz nach dem mörderischen Brandanschlag festgenommen, gestand er zunächst, die Tat aus Haß gegen Ausländer „allein“ begangen zu haben.
Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte Christian R., der ohne Vater aufwuchs, auf Sonderschulen und in Heimen. Bereits mit sechs Jahren galt er als „verhaltensgestört“. Immer wieder überraschte der 1991 zu seiner Mutter zurückgekehrte Einzelgänger seine Erzieher mit scheinbar blinden Gewaltausbrüchen. Im psychiatrischen Gutachten wird ihm ein „unausgereiftes, labiles, geschwächtes Selbst“ und ein „hohes Maß an destruktiver Energie“ attestiert. Einer rechtsradikalen Organisation gehörte der glühende Schalke-04-Anhänger trotz vieler Plakate von entsprechenden Gruppen in seinem Zimmer nicht an. Auch hat Christian R. den Treffpunkt der rechtsextremen Solinger Szene, die nach dem Brandanschlag Hals über Kopf geschlossene Kampfsportschule „Hak- Pao“, nie besucht. Rechtsextremisten aus ganz Nordrhein-Westfalen erhielten im „Hak-Pao“ eine Art Einzelkämpferausbildung. Jeden Freitag übte hier eine „Deutsche Kampfsportinitiative“ (DKI), die sich in Anzeigen als ein „Zusammenschluß patriotisch denkender Kampfsportler“ empfahl. Zu den regelmäßigen Besuchern dieser Schule zählten die beiden Solinger Rechtsradikalen Bernd Koch (42) und Wolfgang Schlösser (34). Beide sind seit Jahren in rechtsextremen Gruppen wie der FAP, der NSDAP/AO oder auch der Deutschen Liga aktiv.
Mit diesen beiden Aktivisten stieß im „Hak-Pao“ der in Düsseldorf ebenfalls angeklagte 16jährige Felix K. zusammen. Gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger hat Koch erklärt, er habe „dem Jungen nationales Info-Material zur Verfügung gestellt“. Das habe Felix K. dann „in Briefkästen und unter seinen Kameraden“ verteilt.
Brief an Familie Genc: „Ich bin einer der Täter“
Felix K., der jegliche Beteiligung an der Tat bestreitet und wie der Mitangeklagte Christian B. (21) seine Unschuld beteuert, hatte mit 14 Jahren sein rechtes Coming-out. Bomberjacke und Glatze gehörten dazu ebenso wie die musikalisch verbrämte Hetze rechter Bands wie „Störkraft“ oder die Musik der inzwischen offenbar geläuterten „Böhsen Onkelz“.
Das soziale Umfeld, dem die vier Angeklagten jeweils entstammen, könnte unterschiedlicher kaum sein. Während Christian R. seit seiner Geburt nur die Schattenseiten der westdeutschen Wohlstandsgesellschaft erlebte, wuchs Felix K. wohlbehütet in einem linksalternativen, politisch engagierten Elternhaus auf: sein Vater ein Arzt und Aktivist der Friedensbewegung, die Mutter Architektin und engagierte Umweltschützerin. Beide Eltern sind von der Unschuld ihres Sohnes, der eine Gesamtschule besuchte, überzeugt. Wochen vor dem Solinger Mordanschlag glauben sie Zeichen für eine Umkehr endeckt zu haben. So habe sich ihr Sohn über Rostock und Mölln entsetzt gezeigt und sich noch im Mai 1993 von seinem Geburtstagsgeld ein Anti-Nazi-T-Shirt gekauft. Während der Untersuchungshaft äußerte sich Felix K. so: „Nach den Ereignissen von Mölln im November (1992) war endgültig finito mit Deutschland, ich bin von meiner rechten Gesinnung abgekommen.“ Seine Mutter hat jetzt „das ganz fürchterliche Gefühl, daß da ein großes Unrecht passiert“.
An die Unschuld ihres Sohnes glauben auch die Eltern des dritten Angeklagten, Christian B. Der 21jährige Sproß einer alteingesessenen Solinger Handwerkerfamilie brach nach Beendigung der Hauptschule gleich mehrere Ausbildungsgänge ab und war zuletzt arbeitslos. Auch Christian B. trainierte in der Kampfsportschule „Hak-Pao“. Von seinem ehemaligen Hauptschuldirektor wird Christian B. als unaufälliger Einzelgängertyp beschrieben.
Seine rechte, ausländerfeindliche Gesinnung läßt sich einem von der Polizei sichergestellten Tagebuch entnehmen, in dem laut Spiegel von „Kanaken knacken“ die Rede ist. Die Verteidigung von Christian B. hat der Solinger Anwalt Jochen Ohliger übernommen. In einer schriftlichen Erklärung distanzieren sich Ohliger und seine Kanzleikollegen „auf das schärfste von dem rechtsextremistischen und faschistischen Hintergrund der Tat“. Und weiter: „Wir verteidigen nur aus dem einzigen Grunde, nämlich daß schwerwiegende Bedenken bestehen, ob unser Mandant tatsächlich an der Tat beteiligt war... Wir kämpfen mit dafür, daß Solingen nicht ein zweites Bad Kleinen wird. Für uns ist der Gedanke unerträglich, daß möglicherweise oder sogar wahrscheinlich die wahren Täter aufgrund von Fahndungspannen und Unterlassungen noch frei herumlaufen und im Nachbarhaus eines jeden von uns wohnen können...“
Glaubt man dem Geständnis des vierten Angeklagten, dann kann davon keine Rede sein. In einem Brief an die Familie Genc schrieb Markus G. (24) im Januar dieses Jahres: „Ich bin einer der Täter.“ Auch die anderen drei Beschuldigten säßen „zu Recht in Haft“. Weiter heißt es in dem Brief: „Ich hoffe nur, daß sich andere Jugendliche, die vielleicht genauso chaotisch gedacht haben, durch die fürchterlichen Folgen der Tat aufrütteln lassen...“ Markus G., der sein erstes Geständnis zunächst widerrufen hatte, um dann erneut zu gestehen, gehörte als einziger der Angeklagten einer rechtsradikalen Organisation an. Seit 1992 war der Bundeswehrsoldat, dessen Mutter früh verstarb und dessen alkoholkranker Vater als Frührentner in Solingen lebt, Mitglied in der DVU, der Partei des rechtsradikalen Münchner Verlegers Gerhard Frey. Auch er besuchte regelmäßig die Kampfsportschule „Hak-Pao“. Jetzt schämt er sich „unendlich“ für seine Tat. „Wenn ich doch nur irgendwas rückgängig machen könnte.“ Walter Jakobs
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