: Bauchladen während des Essens abgesetzt
■ Fliegender Händler vom Pariser Platz bekommt beschlagnahmte Waren wieder
Bei jedem Wind und Wetter stehen sie am Brandenburger Tor und bieten Fellmützen und DDR-Devotionalien in ihren Bauchläden feil: die fliegenden Händler. Das ausladende Brett mit den Waren haben sie sich mit Riemen um den Hals gegürtet. Denn: Am Pariser Platz darf kein Verkaufsstand den Boden berühren, weil dies das historische Stadtbild verschandeln würde. Zuwiderhandlungen werden mit Bußgeldern von 600 Mark aufwärts und Beschlagnahmung der Waren geahndet.
Der 69jährige Türke Seki C. war nicht der einzige, der im vergangenen Sommer in eine große Polizeirazzia am Brandenburger Tor geriet. Dabei hatte er seinen Bauchladen nur für kurze Zeit auf einem Steinmäuerchen abgesetzt, um eine Essenspause zu machen. Plötzlich sah er sich von mehreren Beamten umringt und reichlich unsanft abgeführt. „Sie schubsten mich, daß ich stolperte und die Sachen von meinem Bauchladen auf den Boden fielen“, so Seki C. Später im Polizeiwagen sei er am Finger verletzt worden. Der 69jährige Mann stand jetzt vor Gericht, weil er seinen Bauchladen wiederhaben wollte, der vom Bezirksamt Mitte eingezogen worden war. Gegen den Beschluß hatte Seki C. mit Hilfe eines Anwaltes Einspruch eingelegt.
Nach zweistündiger Verhandlung, in der sieben Zeugen gehört wurden, stand für die Amtsrichterin fest: Seki C. bekommt den Bauchladen wieder. Die Beschlagnahmung sei unrechtmäßig, weil er das Warenbrett für eine Mittagspause auf dem Mäuerchen abgesetzt habe. Dies hatten drei Straßenhändler-Kollegen als Zeugen bekundet. Die Absurdität des ganzen Verfahrens hatte Seki C.s Anwalt in seinem Plädoyer auf den Punkt gebracht: Wenn ein Autofahrer eine rote Ampel passiere, werde das Fahrzeug auch nicht eingezogen. Bei den fliegenden Händlern reiche hingegen der bloße Verdacht aus, gegen das Straßengesetz verstoßen zu haben. Der Anwalt, der über 25 Händler vertritt, hat mit den Einspruchsverfahren gegen die Einziehungsbescheide schon oft Erfolg gehabt. Mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht wollen die Händler nun versuchen, eine Sondergenehmigung für richtige Stände am Brandenburger Tor zu erhalten.
Doch für Seki C. ist die Sache damit noch nicht zu Ende. Die Polizisten, die ihn seinerzeit festgenommen hatten, haben den alten Herrn wegen Widerstandes angezeigt. Damit nicht genug, muß sich auch ein Sozialpädagoge vor Gericht verantworten, der die Beamten wegen ihres rabiaten Verhaltens gegenüber Seki C. zur Rede gestellt hatte. Die Beamten zeigten ihn daraufhin wegen Verleumdung an. Plutonia Plarre
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