: Die stillgestellte, zermürbende Zeit
■ „Fremdes Zuhause“: eine sehenswerte Ausstellung mit „Porträts aus einem deutschen Flüchtlingswohnheim“ – Bilder des Wartens/ Derzeit im Bürgerhaus Weserterrassen
„Es ist egal, ob du den ganzen Tag schläfst, ob du dich betrinkst oder mit den anderen streitest oder geduldig wartest...“ Samy Al-Bayaty beschreibt seinen Alltag. Er lebt als Asylsuchender in Berlin: In einem ausgedienten Krankenhaus, das jetzt als „Heim“ für 360 Flüchtlinge aus der halben Welt fungiert. Seine Beschreibungen kreisen immer wieder um das gleiche Thema: das Warten. Es ist vor allem diese stillgestellte Zeit, die nun in einer Reihe von „Porträts aus einem deutschen Flüchtlingswohnheim“ spürbar wird. Der Berliner Fotograf Frank Darius hat sie im „Heim“ Al-Bayatys gemacht und schickt sie nun auf Reisen.
Herausgekommen ist keine Dokumentation, sondern eine Galerie von Gesichtern, in denen das Warten, die zermürbende Prozedur des deutschen Asylverfahrens, seine Spuren hinterlassen hat.
Sein heikles Vorhaben hat Darius mit einiger Sensibilität umgesetzt. Niemand sollte einfach für den guten Zweck benutzt und abgeknipst werden. Auf eine spektakuläre Inszenierung des Wohnheimelends hat Darius ebenso verzichtet wie auf eine exakte Regieanweisung für die Porträtierten. Seine Bilder sollen „den Blick dafür öffnen, daß Du selbst dort stehen könntest“.
An diese existentielle Qualität ist Darius erstaunlich nahe herangekommen. Die stark zurückgenommene, einheitliche Form der Studiofotos – stehend vor dunklem Hintergrund – dient den Porträtierten als lockerer Rahmen, in dem sie sich selbst inszenieren können: als Individuum, nicht als namenloser Flüchtling.
Die vermeintlich nüchterne Folie der Bilder, ein dunkler Standardhintergrund, vermittelt gleichzeitig etwas von der zeit- und orientierungslosen Atmosphäre im „Heim“. Allerdings muß sich Darius auch den Vorwurf gefallen lassen, daß durch diesen Kunstgriff ein gewisser serieller Effekt entsteht. Ganz entfernt erinnern auch diese Fotoreihen an die Bildabfertigung bei der erkennungsdienstlichen Behandlung der Flüchtlinge. Dieses Problem hat Darius selbst in seinem ausschweifenden Katalogbeitrag nicht reflektiert – es ist freilich eines, das der Alltag des Asylverfahrens jeder Fotografie fast automatisch einprägt. Thomas Wolff
„Fremdes Zuhause“, bis 24.4. im Bürgerhaus Weserterassen (täglich 10-24 Uhr); Katalog 25 Mark (Edition Braus)
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