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„Eine Stimme sagte: Los!“

Jugendliche aus Hoyerswerda gestehen vor Gericht, daß sie den Musikklub „Nachtasyl“ überfallen haben / Doch mit dem Tod eines Musikers wollen sie nichts zu tun haben  ■ Aus Bautzen Detlef Krell

Hat es niemand gesehen, oder wollte es gar keiner wahrnehmen? Erst einer, dann noch zwei glatzköpfige Prozeßbesucher reckten am Eingang des Gerichtssaales zu den Angeklagten hin ihren rechten Arm. Die Finger kurz zum Kühnengruß gefaltet, dann gab es kühn die flache Hand. Man kennt sich, feixt sich gute Laune zu.

Die Jugendkammer des Landgerichtes Bautzen muß für diesen Prozeß ihr eigenes Haus verlassen. Eine Bank für 12 Angeklagte, die gibt es dort nicht. So wird man Gast im „Haus der Kultur und Bildung“, für einen Prozeßtag sogar in einen Hörsaal ausweichen.

Zwölf junge Männer sitzen vor dem Richter, elf aus Hoyerswerda. Einer von ihnen lebt jetzt in Weißwasser. Am Abend des 19. Februar vorigen Jahres saßen sie so einträchtig wie jetzt beieinander, damals im „We-Ka-X“, einem bundesweit bekannten Jugendklub. Nach dem rassistischen Pogrom von Hoyerswerda, Herbst 1991, war der neue „Anti-Gewalt-Topf“ der Bundesregierung zuerst für diesen Jugendtreff geöffnet worden.

Die zwölf Angeklagten werden in den Verhandlungstagen bis Juni viel Zeit haben, ihre Geschichte der Nacht vom 19. zum 20. Februar 1993 darzustellen. Der damals 22jährige Schuhmacher und Fahrer der Heavy-Metal-Band „Necromanths“, Mike Zerna, hat die Nacht nicht überlebt. Er war eine „linke Zecke“, er lag mindestens eine halbe Stunde unter seinem Auto begraben und starb nach sechs qualvollen Tagen im Krankenhaus. Die Anklage für acht Jugendliche lautet auf Mord durch Unterlassen, für die anderen auf schwere Körperverletzung, Landfriedensbruch, schweren Hausfriedensbruch. Das Ermittlungsverfahren gegen einen Polizisten wegen fahrlässiger Tötung und Strafvereitelung im Amt ist noch nicht abgeschlossen. Fest steht: Mike Zerna könnte noch leben. Die Angeklagten und wahrscheinlich auch die Polizei hätten ihn retten können.

Mike P. legte gestern eine umfassende Darstellung des Geschehens vor, doch die weicht in wesentlichen Punkten von der Anklage ab. Am 19. Februar feierte er seinen 20. Geburtstag, mit den Kumpels im Klub. Im „Nachtasyl“ gab es an diesem Abend Heavy Metal, das wollte er sich anhören. „Ich bin Heavy-Metal-Fan, ich glaube, das sieht man mir auch an.“ Doch statt harter Musik gab es nur harte Worte. Von Gästen wurden die Besucher als „Nazischweine“ beschimpft. Mike P. wollte Streit schlichten, was ihm auch gelang. Draußen, vor dem „Nachtasyl“, flog ein Stein in die Heckscheibe seines Autos, und Vermummte bedrohten ihn.

Der Anklage zufolge soll Mike P. die anderen zur Rache aufgefordert haben. Das bestreitet er. Er will wahrgenommen haben, wie sich „unter großem Lärm“ der Klub leerte. Auch er, „stark angetrunken“, ging hinaus, fand sich plötzlich hinter einem Lenkrad wieder: „Eine mir unbekannte Stimme sagte: Los!“

In den Autos saßen die nun Angeklagten und „noch einige Glatzen, die ich nicht kenne.“ Mike P. wollte „nur den Steinewerfer zur Rede stellen“. Als ihn ein Mädchen „Nazi“ schimpfte, gab er ihr eine Ohrfeige. „Das war nicht richtig, das muß man so sagen.“ Den „Steinewerfer“ fand er nicht, aber dann sah er, wie ein Pulk Glatzen auf ein Auto „einhackt“. Wieder vernahm er eine Stimme: „Los, wir kippen das Auto um.“ P. folgte, ging hin und packte mit zu. „Als das Auto umgekippt war, ging ich weg.“ Das unter dem Auto begrabene Opfer habe er nicht gesehen.

Sein Kumpel Peter A., der in der Untersuchungshaft Selbstmord beging, erzählte ihm am nächsten Morgen, „daß unter dem Auto jemand lag“. Mike P. fragte Silvio T., einen der Mitangeklagten, und bekam zur Antwort: „Ja, das habe ich gesehen, da lag einer.“ Wer den Kraftfahrer aus dem Auto gezerrt hatte und ob jemand das Fahrzeug absichtlich auf den am Boden Liegenden kippen wollte, ist bis jetzt noch unklar.

Das als schriftliche Erklärung vorliegende Geständnis von Mike P. läßt einige Fragen offen, die in der Beweisaufnahme hoffentlich beantwortet werden können. Doch unglaubwürdig ist seine Aussage nicht. Anders die selbstsicheren Ausflüchte des Skins Mirko S. Auch er ist des Mordes durch Unterlassen angeklagt. Doch daran sind angeblich Polizei und Staatsanwalt schuld. Er sei „nicht mit irgendeinem Vorsatz“ zu den anderen Glatzen ins Auto gesprungen, „höchstens, um mitzufahren, zum Konzert“. Den ihm angelasteten Satz: „Schlagt die linken Zecken tot“ wisse er „nur aus der Anklageschrift“, und die Randale an dem Fahrzeug der Heavy-Metal-Band habe er „eher unbewußt“ gesehen, aus sicherer Entfernung.

Polizeibeamte sollen ihn bei der Vernehmung immer wieder danach gefragt haben, ob er „an ausländerfeindlichen Parolen“ beteiligt gewesen sei. In Hoyerswerda gibt es aber keine Ausländer mehr.

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