Serben forcieren Politik der Nadelstiche

■ Serbische Truppen bombardieren Tuzla und nehmen UNO-Soldaten fest / Bosnische Serben entziehen den US-Medien die Akkreditierung

Sarajevo (AFP/dpa) – Nach dem militärischen Eingreifen der Nato in den Bosnienkrieg haben die Serben ihre Politik der Nadelstiche gegen die UNO deutlich verschärft: Nachdem es am Mittwoch zu einem schweren Bruch des Waffenstillstands in Sarajevo gekommen war, rückte gestern ein serbischer Panzer in Richtung eines Waffendepots in der Nähe der Hauptstadt vor. Sie bedrohten die dort stationierten französischen UNO-Soldaten. Bombardiert wurden das nordbosnische Tuzla sowie der Flughafen der Stadt. Bei Sarajevo nahmen serbische Truppen 17 UN-Soldaten fest. Die 14 kanadischen Soldaten und drei weitere UN-Militärbeobachter waren für die Bewachung eines Waffenlagers in Cifluk, 19 Kilometer nordwestlich von Sarajevo, zuständig. Laut Unprofor behinderten die bosnischen Serben außerdem an verschiedenen Stellen des von ihnen kontrollierten Territoriums bis zu 200 UN-Beobachter und -Soldaten; amerikanischen Medien sowie deren Mitarbeiter in den von bosnischen Serben kontrollierten Gebieten wurde ihre Akkreditierung entzogen. Auf all diese serbischen Aktionen reagierte die UNO zunächst nur verbal: Militärsprecher Rob Annink sagte, offen sei, ob mit der Gefangennahme der UNO-Soldaten das weiterhin geltende Nato-Ultimatum von Anfang Februar verletzt werde. Dieses beinhaltet die Androhung von Luftangriffen.

Ungeachtet der Zuspitzung der Lage in den Krisengebieten, setzten die „Friedensdiplomaten“ ihre Balkan-Reisen fort. Die Jugoslawien-Vermittler von EU und UNO, David Owen und Thorvald Stoltenberg, wurden in Belgrad erwartet und sollten am Freitag ein Gespräch mit dem bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić führen. Der russische Sondergesandte Witali Tschurkin zog eine positive Bilanz seiner zweitägigen Gespräche mit den Serben in Belgrad und Pale sowie mit der bosnischen Regierung. Er sagte, das Hauptziel, die Kämpfe um Goražde zu beenden, sei vorerst erreicht. Er habe nunmehr die Zusicherung von Karadžić, daß die Serben ihre Offensive nicht fortsetzen wollten. Voraussetzung sei aber, daß die Muslime ihre Provokationen einstellten. Tschurkin fügte hinzu, er sei sicher, daß die serbische Seite nicht die Absicht habe, der Staatengemeinschaft „den Fehdehandschuh hinzuwerfen“. Die Position der UNO könne den Verhandlungsprozeß vorantreiben, allerdings seien „resolute Schritte“ zu einem Frieden in Bosnien und zur Aufhebung der Sanktionen gegen Jugoslawien erforderlich.

Am UNO-Sitz in New York trafen sich Vertreter der USA, Rußlands, Frankreichs, Großbritanniens und Spaniens zu ersten Gesprächen über eine Resolution zur Befriedung der von den Serben weiterhin belagerten Stadt Goražde. In dem von Frankreich erstellten Entwurf wird auch eine neue diplomatische Initiative für eine Gesamtlösung der Konflikte in Ex-Jugoslawien gefordert. Die Serben werden aufgefordert, ihre Einheiten so weit von Goražde abzuziehen, daß der Status der Stadt als Sicherheitszone nicht länger bedroht ist. Die Lage in Goražde wurde gestern als ruhig beschrieben. Ein Sprecher des UNO-Flüchtlingswerks sagte, 18.333 Menschen aus neun Dörfern südlich der Drina seien vor der serbischen Offensive über den Fluß nach Goražde geflohen.