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Die Utopie des Kollektivs

Der taz sah und sieht man an, unter welchen Produktionsbedingungen sie täglich gemacht wird  ■ Von Christian Ströbele

Das Nationale Plenum der taz- Initiativen hatte auf der denkwürdigen Tagung im Dezember 1978 entschieden: Die tägliche taz erscheint im April 1979, und die Zentralredaktion kommt nach Berlin. Das Nationale Plenum war ein bunter Kreis von Leuten aus zahlreichen taz-Initiativen. Dieses Urkollektiv der taz entschied alle Angelegenheiten des Projektes „taz“, direkt und urdemokratisch. Jeder und jede hatte zu allen Entscheidungen gleiches Stimmrecht, unabhängig von Vorbildung und Kenntnissen, von Alter und Geschlecht und ganz egal, wie lange sie dabei waren.

Die Utopie vom reinen Glück einer demokratischen Urgesellschaft von Gleichen wollte sich trotzdem in Frankfurt 1978 nicht einstellen. Ein Wochenende lang war mal wieder heftig und stressig gestritten worden, Frankfurter gegen Berliner, die aus den Regionen gegen die aus den Zentralen und durcheinander. Am Ende des ersten Tages hielten es einige nur noch mit einer Tüte duftenden Hanfes aus. Am Sonntag, dem 10.12.1978, um 13.50 Uhr fielen dann die Entscheidungen. 73 stimmten für die taz täglich ab April 1979. Da war man sich noch einig. Die Standortfrage war härter umkämpft. Gibt es in Frankfurt ein distanziertes, zynisches Verhältnis zu den Arbeitsgruppen und regionalen Inis? Sprechen das Frontstadtklima und die Insellage gegen Berlin als Standort? Mißtrauen, Rivalitäten und Eigeninteressen wurden hinter scheinbar nur sachlichen Argumenten unüberhörbar. Dann gingen 43 Finger hoch für Berlin, 30 für Frankfurt. Es gab Tränen bei Unterlegenen. Und in einer bekannten Szenekneipe soll es am Abend sogar zu einer Ohrfeige gegen einen gekommen sein, der sich nicht genug für Frankfurt eingesetzt haben soll. Die weiteren Entscheidungen zu Finanzen (40.000 Mark Vorlaufkosten für Januar, danach 100.000 Mark monatlich) und Personal (Anstellung für zunächst 20 Personen) traf das Kollektiv routiniert, fast wie das Gremium einer Aktiengesellschaft. Die Weichen waren gestellt. Das Nationale Plenum tagte dann in rascher Folge in den nächsten Monaten bis April und beschloß alles, was für die tägliche taz wichtig war.

Die taz war ein Unternehmen der Alternativbewegung. Von niemandem wurde die Kollektivstruktur des Nationalen Plenums in Frage gestellt. taz-Initiativen gab es seit 1977 in 25 Städten quer durch die Republik. Aus einigen Inis wurden Regionalredaktionen.

Die Leute kamen in die Initiativen, von niemand delegiert oder geschickt, unorganisiert, eben spontan. Spontis also. Die meisten waren vorher politisch aktiv in Bürgerinitiativen, Frauengruppen, Knastgruppen, an den Unis oder auf Demos in Berlin, Frankfurt und Gorleben. Einige hatten in Stadtteilzeitungen gearbeitet oder in alternativen Medien, Verlagen oder Druckereien. Viele waren Studenten. Die Leute blieben, solange sie das Projekt „Die Tageszeitung“ richtig fanden. Einige gingen wieder. Die meisten hielten erstaunlich lange aus, obgleich die Diskussionen sich mit immer neuen Leuten wiederholten und die Verwirklichung des Traumes von einer linken Tageszeitung sichtbar nicht näher rückte. Geld gab es grundsätzlich nicht für die Arbeit am Projekt. Ganz im Gegenteil hatte das Dezemberplenum beschlossen, daß jedes Ini- Mitglied 400 Mark zur Finanzierung des Projektes auftreiben sollte. Für Reisen und Aufwendungen etwa zu den Nationalen Plena mußte jeder selbst aufkommen. Die Leute waren organisationsunwillig. Noch 1978 wurde der Vorschlag verlacht, einen Verein zu gründen, um einen halbwegs verläßlichen und handhabbaren Rahmen für das Projekt zu schaffen.

Nicht trotz, sondern vielleicht sogar wegen der undurchsichtigen informellen Strukturen haben die Leute der taz-Initiativen geschafft, was Großverleger und Parteien nicht hinbekommen hatten: eine linke überregionale Tageszeitung zu gründen und über Monate und Jahre zu erhalten.

Die offenen Strukturen der Inis und die Gleichstellung aller im Nationalen Plenum waren die Voraussetzungen, daß sich so viele und gerade die, die für das Gelingen wichtig waren, für das Projekt „linke Tageszeitung“ engagierten. Und diese Strukturen machten das Projekt nicht nur unberechenbar und unkontrollierbar für staatliche Stellen – auch für staatliche Stellen in der DDR, wie wir heute aus Stasi-Akten wissen –, sondern auch immun gegen Unterwanderung durch Parteien und K-, und andere Gruppen.

Seit 68 wurde nicht nur von einer linken Tageszeitung geträumt. Einer Zeitung, die unabhängig von Industrie und Großverlagen ist, die andere Schlagzeilen und Themenschwerpunkte hat, die Zusammenhänge sichtbar macht, Nachrichtensperren ignoriert und die von einem unabhängigen linken Standpunkt aus kommentiert und auch mal politisch eingreift. Die Neue Linke träumte auch von menschlicheren, selbstbestimmten Arbeitsverhältnissen ohne Ausbeutung, jetzt und hier in den Industriegesellschaften. Sie war überzeugt, daß alternative Organisationsformen für Betriebe und Unternehmen entwickelt werden müssen, jenseits von Kapitalismus und realsozialistischer Planwirtschaft. Die Unternehmen der Zukunft sollten denen gehören, die darin arbeiten, ohne formale Hierarchien, mit kollektiven Entscheidungen, gleicher Bezahlung und gleichem Anteil am Arbeitsergebnis. Deshalb entstanden die Alternativbetriebe. Linke gründeten Buchläden, Verlage, Druckereien, Bäckereien als Kollektive. Deshalb entstanden Ärztekollektive – und das Sozialistische Anwaltskollektiv.

Das Unternehmen, das von Linken, von Alternativen gegründet wurde, um die linke radikale Tageszeitung herauszugeben, konnte danach nur ein Alternativunternehmen sein. So wurde die taz zum – bis heute größten – Kollektiv.

Das Nationale Plenum hatte festgelegt: Das Unternehmen gehört denen, die darin arbeiten. Alle erhalten den gleichen Lohn. Es gibt keine formelle Hierarchie. Alle können mitentscheiden. Das gilt sogar für den Inhalt der Zeitung. So waren in der Redaktionskonferenz auch Leute aus dem Vertrieb oder der Verwaltung stimmberechtigt. Jede Arbeit sollte gleichwertig sein. Mitarbeitende konnten von einem Arbeitsplatz auf einen anderen wechseln. So arbeiteten Leute, die beim Sazz angefangen hatten, ein paar Jahre in der Redaktion und dann wieder im Sazz oder hatten Geschäftsführungsfunktionen.

Das Kollektiv hat funktioniert, wenn auch sehr mühsam. Die Utopie von den menschlicheren Arbeitsverhältnissen im Kollektiv kollidierte mit den Erfahrungen von Ungleichheit und Gängelung in der Realität. Auf dem Nationalen Plenum in Köln vom Dezember 1979 stand das Papier eines Redakteurs zur Diskussion: „Warum ich nicht mehr an Sitzungen der taz-Ini teilnehme oder Gegen die Funktionäre mit den mehligen Pfoten.“ Auf dem Plenum, acht Monate nach der taz-Geburt, stand auch zur Abstimmung: „Die Dauer von Konferenzen und Plena wird auf zwei Stunden beschränkt.“

Trotz der Schwierigkeiten hat das Kollektiv „taz“ viele Jahre bestanden. Die taz hat auch deshalb das erste Dutzend Jahre überlebt. Die im Kollektiv getroffenen Entscheidungen waren – selbst nach Unternehmermaßstäben – grundsätzlich nicht schlechter als die einer Aktionärsversammlung. Sie waren auch nicht etwa opportunistisch auf den augenblicklichen Vorteil der Mitarbeitenden ausgerichtet. Sie waren für viele Beteiligte häufig sehr schmerzhaft, zum Beispiel wenn Entlassungen beschlossen wurden.

Der Traum von der linken radikalen Tageszeitung ist inzwischen entzaubert. Aber als linke alternative Tageszeitung hat die taz der deutschen Presse wesentliche Impulse beschert. Die Geschichte des Kollektivs taz hat zu einer Ernüchterung über die Utopie von gerechteren und menschlicheren Arbeitsbedingungen im Kollektiv geführt. Aber die Bedeutung der taz liegt auch in den Erfahrungen des großen Kollektivunternehmens taz in puncto „Anders Arbeiten“.

Die taz-Genossenschaft unterscheidet sich erheblich vom Urkollektiv taz. Sie ist aber auch immer noch etwas wesentlich anderes als jedes andere Unternehmen. Ob die Genossenschaft eine Weiterentwicklung des Kollektivs taz sein wird oder Rückkehr und Anpassung an alte kapitalistische Unternehmensformen, wird sich zeigen.

Dem Produkt „Tageszeitung“ sieht man an, unter welchen Produktionsbedingungen es entstanden ist. Das gilt für die letzten 15 Jahre wie für die Zukunft.

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