piwik no script img

Kein Wille, kein Weg

Leverkusen verabschiedet sich nach dem 1:2 in Bremen von Meisterschafts-Träumen und Trainer Stepanovic verschlägt es ins Krankenhaus  ■ Aus Bremen Markus Daschner

Wo war bloß Andreas Herzog mit seinen Gedanken? Ob er überlegte, was passieren wird, wenn er zu Eintracht Frankfurt wechseln würde und Otto Rehhagel auch? Jedenfalls stand der bekennende Werder-Emigrant in der 34. Minute des Spiels Bremen gegen Leverkusen frei wie ein Vogel im gegnerischen Strafraum und traf mit dem Ball doch nur Leverkusens Torwart Rüdiger Vollborn.

Bremen gegen Leverkusen am vergangenen Samstag war ein Spiel, wie es die Zuschauer im Weserstadion schon lange nicht mehr gesehen hatten. Frost und Frust persönlicher Differenzen, die sich seit Wochen durch Werders 90-Minuten-Auftritte ziehen, hatte eine sanfte Frühlingssonne zum Schmelzen gebracht. Das Tauwetter schien der Krise im Nest des SV Werder die Decke weggezogen zu haben. Die Mannschaft war sportlich ganz entspannt im Hier und Jetzt, in der Tabelle jenseits von Gut und Böse, ausgeschieden aus der Champions League. Die Bilanz kann sich trotzdem sehen lassen: Mit 38 Millionen Mark Einnahmen (bei rund 4 Mio. Gewinn) hat die Mannschaft dem Verein im letzten Jahr geschäftlich ein einzigartiges Denkmal gesetzt. Und im DFB-Pokal ist das Eisen noch heiß, das die Bilanz für das laufende Jahr schreiben soll.

Überraschend, daß noch 20.000 den Weg ins Stadion gefunden hatten. Ob es in der Bremer Ostkurve bequemer ist als im heimischen Wohnzimmer? Oder passiert dort einfach mehr? Kurz nach Herzogs Chance jedenfalls strich Borowka eine butterweiche Flanke quer über den Fußballplatz unter die Stollen von Mario Basler. Zweimal hatte er zuvor den Ball mit der Brechstange im Tor unterzubringen versucht. Diesmal setzte er auf Technik und lupfte das Leder über Torwart Vollborn. Nach dem Spiel ließ er sich das Prädikat „Weltklasse“ von seinem Trainer Otto Rehhagel bescheinigen.

Leverkusen erwies sich als ebenbürtiger Gegner, blies aber nur mäßig couragiert zum Angriff. Der grünweiße Glasnost hatte die Gastmannschaft wohl angesteckt. Verdutzt rieben sich die Zuschauer die Augen. Wollte Bayer wirklich Meister werden? Wohl kaum. Nur eine Chance hatte das Team von Trainer Stepanovic in der ersten Halbzeit: Andreas Thom hatte den Ball von halbrechts direkt vor das Bremer Tor gezogen. Dort lauerte Ulf Kirsten, der eigentlich aus einer Chance zwei Tore machen kann, aber diesmal eben nicht. Statistik ist, wenn es auch Ausnahmen gibt. Dietmar Beiersdorfer, der Manndecker für Kirsten, sah da alt aus. Das machte aber nichts, denn irgendwie patzten an diesem Nachmittag alle einmal. Sogar der unfehlbare Bratseth und Bremens Methusalix Mirco Votava hatten offenbar rote Kreuze an ihren verwundbaren Stellen. Leverkusen zeigte sich aber von der fairen Seite. Für jede verpatzte Werder-Chance ließen sie auch eine aus. Sergio und Schuster zum Beispiel hatten den Ausgleich vor den Füßen, aber wo kein Wille ist, ist auch kein Weg.

Bei alledem blieb es ein wunderschöner Samstagnachmittag. Angriffsfußball hin und her, aber streßfrei. Kombinationen kreuz und quer, aber ohne Krampf. Und über allem ragte Mario Basler, dem das 1:0 nach 80 Minuten zu langweilig wurde. Im Alleingang ließ „Super-Mario“ die Leverkusener Recken stehen wie Slalomtore und wuchtete dann noch höchstpersönlich den Ball zum 2:0 ins Tor. Wieder „Weltklasse“, sagte Otto Rehhagel später, und daran konnte auch Kirstens Anschlußtreffer kurz vor Schluß nichts mehr ändern. Die Leverkusener Niederlage war unspektakulär bis 20 Minuten vor Schluß. Da ereilte das Schicksal den Leverkusener Trainer Dragoslav Stepanovic in Form einer Kerze. Stepi wollte den Ball am Spielfeldrand in alter Nationalspielermanier stoppen, trat aber unglücklich drauf und schlug lang hin. Erste Diagnose: Arm ausgekugelt, Krankenhaus. Erst da war die Niederlage tragisch, denn Leverkusens Meisterzug war abgefahren.

Der SV Werder Bremen aber hat sich sportlich zurückgemeldet. „Wir haben jetzt wieder eine kleine Chance“, sagte Trainer Rehhagel und meinte die Punkte bis zum fünften Tabellenplatz. Wenn die Bremer den erreichen, könnten sie sogar das Pokalendspiel gegen Rot-Weiß Essen vergeigen und würden trotzdem im nächsten Jahr international spielen.

Bayer 04 Leverkusen: Vollborn - Lupescu - Happe, Melzig (76. Nowotny) - Wörns, Scholz, Schuster, Sergio, Tolkmitt - Kirsten, Thom

Zuschauer: 22.000, Tore: 1:0 Basler (34.), 2:0 Basler (80.), 2:1 Kirsten (89.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen