: Die Inszenierung der Straße
Warum die Rückkehr zum Straßenfußball von verkaufswütigen Sportartiklern mit trendy Konzepten forciert wird ■ Von Christoph Biermann und Ralf Niemczyk
Berlin (taz) – Die stillgelegte Fabrikhalle von Krupp im Essener Norden ist nicht gerade der Ort, an dem man normalerweise ein Fußballturnier vermuten würde. Selbst dann nicht, wenn man schon direkt vor der Tür steht. Nach draußen dringen nämlich vor allem die Beats aus den Lautsprecherboxen. Da drin ist 'ne Party, denkt der Ahnungslose, und das soll er auch. Schließlich wollen die Veranstalter nicht mit Berti und Lothar assoziiert wissen, sondern „Kicker Tango für Asphaltcowboys“ und „Jugendkult“, wie ihre PR-Texte verraten.
So führt die Essener Marketingagentur „Team Action Sports“ an diesem Abend vor, wie es aussieht, wenn man dem guten, alten Fußball ein „Trendkonzept“ verpaßt. Torsten Görke hat ein solches für und mit dem italienischen Sportartikelhersteller Diadora entwickelt: „Der Trend geht weg vom organisierten Sport, auch beim Fußball. Und Trendkonzept bedeutet vor allem, daß man die Vereinsstruktur auflöst, Schiedsrichter wegläßt und die Mannschaftszahl reduziert.“ Calcetto heißt die Fußballvariante auf dem Kleinfeld mit Bande, mit der sich die bisherige Nischenmarke Diadora in Deutschland vor allem bei jugendlichen Konsumenten bekannt machen will. 70 Turniere bis September in der ganzen Bundesrepublik sollen dazu beitragen, ausgetragen auf alten Fabrikgeländen, in Höfen oder ähnlichen Kulissen, „wo der Fußball herkommt“, wie Torsten Görke meint.
Mit größerem Etat, unterstützt durch TV-Spots mit Lothar Matthäus, Rudi Völler, Andy Köpke und Anthony Yeboah, verfolgt Puma ein ähnliches Konzept. Ihre ebenfalls bundesweit ausgetragenen Turniere um den „Street Soccer Cup“ zielen auch auf jugendliche Käufer. Weshalb der Sportartikelhersteller aus Herzogenaurach auch von „Deutschlands größter Talentsuche für Fußballhoffnungen“ spricht. Sowohl die Kampagne von Puma als auch die von Diadora spielen mit einem Motiv, das als seltsames Gespenst durch alle Diskussionen um die Zukunft des Fußballs geistert. Nur die Kicker von der Straße, Jungs von ganz unten, die sich von den Hinterhöfen in die Arenen des Weltfußballs nach vorne dribbeln, können angeblich das darbende Spiel noch retten. Und jetzt soll dieser Mythos vom „Straßenfußballer“ auch Anteile auf dem heißumkämpften Sportmarkt erobern helfen. Die Straße soll es für die Sportartikler, aber auch auf andere Art und Weise bringen. Wie, das machte Adidas bereits im letzten Jahr mit seinen „Streetball“-Turnieren vor. „Streetball“ wäre so etwas wie die Trendkonzept- Variante von Basketball, wenn auch sie an den Schreibtischen fixer Marketing-Manager ausgedacht worden wäre. Aber bei diesem importierten Szenario schwingt mehr Authentizität mit. In Amerika gehören große Freiplatzturniere zu den üblichen Sommervergnügungen in den Metropolen. Und das scheint nun auch in Deutschland zu funktionieren. Schon im letzten Jahr nahmen an den verschiedenen Großevents, die Adidas in der gesamten Bundesrepublik organisierte, fast 23.000 zumeist jugendliche Spieler teil. Nach langen Jahren der Krise, in denen Adidas gegenüber den amerikanischen Mitbewerbern Nike und Reebok als zunehmend muffig und unhip galt, „hatten wir endlich mal wieder die Nase vorn“, wie Adidas-Sprecher Jan Runau stolz feststellt.
Das zeigt, daß man inzwischen auch in Deutschland gelernt hat, Basketball als Hip-Sportart zu inszenieren. Dankbar wird dabei die enge Verknüpfung des Spiels mit Musik in der afroamerikanischen Kultur ausgebeutet. Basketball und HipHop sind in den USA die beiden Bereiche, in denen Afroamerikaner als Akteure eindeutig dominieren. Und so verschmelzen im fernen Eurpa die Images aus den Videos der Rap-Acts und den TV-Spots der Sportartikler zu einer schicken Ghetto-Idylle, die dann sogar als Studiokulisse zur Basketball-Show „Jump Ran“ am Sonntagmorgen in Sat.1 taugt.
Daß das purer Sozialkitsch ist, tut nichts zur Sache. Für schickes Marketing reicht es allemal. Dabei ist ein Akteur wie Shaq O'Neal für die Firma Reebok natürlich ein Hauptgewinn. Der 21jährige Star von Orlando Magic, von Reebok für 20 Millionen Dollar unter Vertrag genommen, personifiziert den neuen Medienverbund von Sport und Pop. Er ist als Basketballer nicht nur der Kronprinz des zurückgetretenen Michael Jordan, sondern auch als Rapper mit eigener Platte („Shaq Diesel“) glaubwürdig und erfolgreich. Für Reebok bedeutet das in diesem Jahr einen Umsatz von 100 Millionen Dollar weltweit mit Shaq-Artikeln.
Wenn Sport weniger nach Sport schmecken soll und mehr nach Pop, stellt sich natürlich die Frage, warum nicht gleich Popstars im Vordergrund stehen. Doch die Unternehmen drehen konzeptionelle Pirouetten und betonen ausdrücklich die Funktionalität ihrer Produkte. Stefan Maurer von der Trend-Agentur Häberlein & Maurer in München weiß warum: „Vor fünf Jahren hat L.A. Gear ein Konzept entwickelt, das auf der Idee basierte, daß 80 Prozent aller Sportschuhe sowieso nie für den Sport gebraucht werden. Das stimmt auch. Aber dann dachte man sich, daß man sie auch als Straßenschuhe vermarkten kann und hat mit Michael Jackson geworden. Und das war der totale Flop.“ Um die Jugendlichen von der Marke zu überzeugen, muß man also gleichzeitig das Image von Sportfunktionalität erzeugen und „Street-Credibility“ besitzen. Aber wozu der ganze Aufwand, denn weder mit „Streetball“ noch mit schicken Shaq-O'Neal-Videos dürfte man an 35jährige Jogger oder 45jährige Tennisspieler einen Schuh oder einen Trainingsanzug mehr verkaufen? „Jugendliche sind nicht nur die häufigsten Verwender von Sportartikeln, sondern nehmen auch eine Opinion- Leader-Funktion ein“, meint Jan Runau von Adidas. Die Kids sind also die Avantgarde des Konsumfortschritts. Da es aber längst keine einheitliche Jugendkultur gibt, leistet sich eine Firma wie Adidas inzwischen sogar schon „Trendscouts“, die Geschmacksänderungen und Bewußtseinsschlenker in den Metropolen möglichst schnell nach Herzogenaurach weitermelden sollen. Ob das Publikum allerdings an der daraus folgenden Inflation der Trendkonzepte auch weiterhin Spaß haben wird, bezweifeln inzwischen sogar schon die Macher selbst. „Jetzt im WM- Jahr bastelt jeder an einem Trendkonzept. Das ist schon overhyped und kaputtgeredet“, meint etwa Torsten Görke und erzählt mit leuchtenden Augen, daß sich die Firma, die sich das ganze Jahr um Trendsportarten kümmert, einmal in der Woche zum Kegelabend trifft und sich schon ganz toll auf ihren Kegelausflug freut.
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