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Vorschlag

■ „War's schön, Liebling?“: Melitta Sundströms literarisches Vermächtnis

Hätte sie 1990 nicht die Weichen für eine Sangeskarriere gestellt, Chefredakteurin der Schabernack-Postille Neue spezial wäre sie allemal geworden: die selige Melitta Sundström, die der Virus im vergangenen Jahr von uns riß. Damit das literarische Vermächtnis der Kreuzberger Soultunte nicht in Vergessenheit gerät, hat sich der schwule Prinz-Eisenherz-Buchladen nun sogar zum Verlag gemausert. „War's schön, Liebling?“ heißt der Prinzen-Band mit über 100 Seiten Sundström, ediert von Gesine Mehl, Melitta Poppe und Doris Disse und gedruckt in einer bescheidenen Sammlerauflage von 500 Exemplaren.

Melittas Medium war die Siegessäule. Nicht die Kriegsstatue im Tiergarten, sondern das gleichnamige Schwulenblättchen aus Berlin. Zusammen mit der Poppe und anderen Sternchen der Tuntenwelt erschuf sie seit 1986 jene Seite, die man entweder zuallererst oder überhaupt nicht las. Mal hieß sie „Kleine Konditorei“, mal „Stina Sundströms stumpfe Stützstrümpfe“ oder einfach nur „Leute“. Klatschspalte wäre weit untertrieben für diese geniale Mischung aus Tuntenhumor und Satire, wie sie kein Hetero jemals zustande bringt. Von der Rubrik „Dildo des Monats“ (Platz 1: Lotti Huber) bis zum Lebenshilfe-Ratschlag: „Wie infiziere ich meinen Vater?“ „Erogene Zonen. Heute: Die Ostzone“ war im Februar 1988 zu lesen, zu einer Zeit also, als die Schwulen (West) von der bleichen Frischfleisch-Inflation nicht zu träumen wagten. Doch als die Siegessäule im November 1989 in Marzahn Einzug hielt, erntete der Tratsch aus der schwulen Low-Society nur Stirnrunzeln. Was interessierte den gewöhnlichen Ost-Homo der braune Fleck auf dem Handtuch des Kulturredakteurs, den die Sundström geflissentlich notierte? Und woher sollten sie „Arienarsch“ Bernd Stürzenberger kennen – jenen vereinsseligen Homofunktionär, der die Ironie der Seite nie verstand, immer wieder böse Briefe schickte und dann erst recht durch den Kakao gezogen wurde? Tunten kennen kein Erbarmen, das und noch viel mehr verrät der mehr als vergnügliche Reprint.

Heute abend lesen Gesine Mehl, Melitta Poppe und Sundströms Sangespartnerin Mignon aus diesem schönsten Schwulenbuch des Jahres, das für 16,80 Mark nur im Prinz-Eisenherz- Buchladen zu erwerben ist. Bei den Proben, gestand Fräulein Mehl vorab der taz, haben die drei vor Lachen dauernd auf dem Boden gelegen. Aber genau so hätte es sich die Sundström auch gewünscht. Micha Schulze

Lesung heute um 20 Uhr im SchwuZ, Hasenheide 54, Kreuzberg.

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