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■ Eine Diskussion über nationale Identität anläßlich des 75jährigen Jubiläums des Schauspielhauses Bochum

Bei so einem allgemeinen Händeschütteln mit Prediger Johannes (Rau) und Clown August (Everding) wie auf der offiziellen Feier der Stadt Bochum zum Bühnenjubiläum ihres Theaters weiß die Linke natürlich immer, was die Rechte tut. Wenn aber der Bochumer Intendant Frank-Patrick Steckel zum Jubiläum seines Hauses eine Vortragsveranstaltung mit der ironischen Frage „Wieviel nationale Identität braucht Kultur?“ ansetzt, weiß die Linke, daß so etwas nur Rechte tun. Christof Wackernagel, Ex-Terrorist, Stückeschreiber und Ex-Mitarbeiter des Bochumer Theaters, fürchtete die Verbreitung „neurechter, kryptofaschistischer Ideologie“ und forderte in einem offenen Brief die Absetzung der Veranstaltung.

Daß das Theater, wenn es lebendig bleiben will, sich jeder erdenklichen Frage stellen können muß, war Steckels allgemeine Rechtfertigung seines Themas, daß die Debatte über Kultur und Nation durch die deutsche Vereinigung nötig und bereits im Gange sei, die besondere – und daß das Bochumer Ensemble mit seinen Inszenierungen seit 1986 (Hebbels „Nibelungen“, Bechers „Winterschlacht“, Müllers „Germania“) zu dieser Debatte bereits Beiträge geliefert hat, als sie vielen noch irrelevant schien, die individuelle.

Die Einladung eines Philosophen namens Jochen Kirchhoff als Referenten war jedoch der eigensinnige Versuch, das Aktuelle im Abseitigen zu treffen. Dieser New- Age-Prediger mit Lehrauftrag an der Berliner Humboldt-Universität bastelt in der Schelling-Nachfolge an einer Naturphilosophie, die die durch die Naturwissenschaften ermöglichte „technische Welteroberung“ verhindern soll, hofft wie Rudolf Bahro auf „machtvolle Tiefenkräfte unserer Existenz – archetypische, spirituelle, emotionale Energien“, um den „ökologischen Holocaust“ zu verhindern, und will wie Syberberg den „Hitler in uns“ erlösen.

Das philosophische Sektierertum zeigt sich schon darin, daß Kirchhoff das, was uns bedroht, Nihilismus nennt, als habe es keinen Existentialismus gegeben. Adorno mokierte sich einst über dieses „Schwatzen von Wertnihilismus“ und seiner Überwindung, weil es die Perspektive verkleistere, „ob nicht der Zustand, in dem man an nichts mehr sich halten könnte, erst der menschenwürdige wäre“. Ratschläge, wie der „Zerstrahlung der Werte“ Einhalt zu gebieten sei, gab Kirchhoff in seinem Vortrag angenehmerweise wenige. Daß das „,Jenseits‘ des Nihilismus“ vielleicht platonistisch zu verstehen sei, kann man als philosophiehistorische Grille hinnehmen, aber die Andeutung, daß die nationale Identität vielleicht ein „Boden“ sei könne, der dem Nihilismus widerstehe, überschreitet die Schwelle der Harmlosigkeit.

Daß „das Nationale eine seelische Wirklichkeit“ ist, wie Kirchhoff, unterstützt von Steckel, feststellte, macht die Diskussion über das Selbstverständnis Deutschlands als Nation erst nötig. Aber die Behauptung, nationale Identität sei im Kern kulturelle Identität, ist eine vorschnelle Antwort in dieser Deabtte, weil sie uns auf die spezifisch deutsche, nur historisch erklärbare Vorstellung von Nation festlegen will. Verfassungspatriotismus und multikulturelle Gesellschaft wären damit unmöglich.

Kirchhoffs resignierendes Eingeständnis, die notwendige „Tiefenbesinnung“ könne nur ein stiller auf den einzelnen oder kleine Gruppen beschränkter Prozeß sein, erleichtert, weil hier doch nicht mit Massenbewegungen gedroht wird. Aber sein Plädoyer für „ein denkendes/meditatives Innehalten, fern vom sogenannten Politischen“, ist ein schlechter Ratschlag für das Theater. Tiefenbesinnung nah am Politischen wäre nötig, wenn das Theater seine gesellschaftliche Funktion wiedergewinnen wollte.

Der sinnvollste Satz in Kirchhoffs zitatenseliger Rede war ein Zitat aus einer anderen Jubiläumsrede, die Wolf Pepenies kürzlich zum 150. Geburtstag des Hamburger Thalia-Theater gehalten hat: „Kunst und Kultur haben keine Antwort, weil sie es schon lange ablehnen, die richtigen Fragen zu stellen: Wert- und Wahrheitsfragen. Dies – und nicht die falsche oder die unzureichende Verteilung knapper Mittel – ist der wirkliche Skandal des gegenwärtigen deutschen Kulturkampfes.“

Daß die Frage der nationalen Identität nicht verdrängt und nicht den Rechten überlassen werden dürfe, schien in der auf den Vortrag folgenden Diskussion Konsens unter den Diskutanten Steckel, Kirchhoff und Claus Peymann zu sein. Ansonsten grenzte sich Peymann von der Untergangsstimmung in Kirchhoffs Ausführungen ab und empfahl sich und sein Theater als „subversive Zelle“, als Verteidiger der „Utopie des Sinns“ und Widerstandsposition gegen die Endzeit. Steckel stellte am Ende klar, daß es ihm um einen Nationalbegriff gehe, der Abschiebung von Kurden verhindere, nicht rechtfertige, und daß er die Öffnung der Theater in Richtung auf andere Nationalitäten, wie sie sein ihm scheinbar so konträrer Kollege Roberto Ciulli im benachbarten Mülheim/Ruhr praktiziert, begrüße. Steckel beschrieb das Dilemma des Theaters mit einer Maxime Claude Levi-Strauss': „Skeptisch bleiben im Wissen, daß es keinen Sinn gibt, dennoch sich so verhalten, als gäbe es ihn.“ Das ist eine Variation auf die gute, alte, linke Formel Antonio Gramscis „Pessimismus der Intelligenz, Optimismus des Willens.“

Damit waren die Orientierungen auch im Theater wieder hergestellt: Links ist, wo für den regieführenden Intedanten links ist, oder, von der Bühne her gesehen: Links ist, wo Steckel rechts ist. Gerhard Preußer

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