: Aussiedler bevorzugt?
■ Helga Trüpel hatte auf dem „heißen Stuhl“ in Osterholz Tenever einen ruhigen Abend
Während es in der gleichnamigen RTL-Sendung oftmals gewaltig kracht, verlebte Helga Trüpel, Senatorin für Kultur und Ausländerintegration, am Dienstag einen überwiegend geruhsamen Abend. Zum zweiten Mal war die Senatorin auf eigene Initiative in einen Bremer Stadtteil gegangen, um zu hören, wo der Schuh drückt. Ihr Ziel: Sich den Fragen ausländischer und deutscher BürgerInnen des Stadtteils zu stellen, um „ein Gespräch über die Probleme, aber auch über die Perspektiven des Zusammenlebens im Stadtteil zu führen“.
Doch der Stuhl blieb kalt. Und Senatorin Trüpel, die längste Zeit unbehelligt von den Fragen des Publikums, durfte mit ansehen, wie eines anderen Sitzfläche zusehens an Temperatur gewann:
Alexander Lohrai heißt der Mann, ist Vorstandsmitglied der sogenannten „Pfingstler-Gemeinde“, die zum allergrößten Teil aus „Heimgekehrten“ besteht. Stellvertretend für die Aus- und Übersiedler in Osterholz-Tenever mußte Lohrai ziemlich harsche Kritik einstecken.
Der Tenor: Bei den Integrationsbemühungen der Politik seien manche eben doch gleicher als andere. „Spätaussiedler werden bevorzugt“, hieß es, und: „Es wird sehr viel für Übersiedler getan. Wenn man integrieren will, dann muß das für alle Nationalitäten gelten“. Lohrai, der selbst seit 1975 in Deutschland lebt, zeigte sich empört. „Wir sind Deutsche, keine Russen!“ Für ihn sei es eine „Erniedrigung“, als Russe behandelt zu werden.
Der unterschwellige Vorwurf: Die nach Tenever übersiedelten Familien aus Russland oder Polen wollen sich eigentlich gar nicht integrieren lassen. Monika Port, Mitarbeiterin im Bewohnertreff und Mütterzentrum des Stadtteils: „Ich habe noch keine Frau und keinen Mann aus Ihrer Gemeinde bei uns gesehen.“
Und so konnte der „Pfingstler“ nicht umhin, zu versprechen, doch mal „reinzuschauen“. Bülent Yüksel, der sich im Türkischen Jugendverein engagiert: „So, wie Sie sich nicht als Russen fühlen, möchten Türkinnen und Türken, die hier geboren wurden, sich auch nicht als Ausländer bezeichnen lassen.“ Eine türkische Frau meinte, Sprachkurse und eine zügige Wohnungsvermittlung würden ungerecht, weil zugunsten der AussiedlerInnen verteilt.
Helga Trüpel zeigte sich bedrückt. „Es ist deutlich spürbar“, so die Senatorin, „daß es hier im Stadtteil Schwierigkeiten zwischen den einzelnen Gruppen gibt.“ Die Aufforderung eines Stadtteilbewohners, endlich mit den Schuldzuweisungen aufzuhören, rückte dann auch die Hauptdarstellerin des Abends wieder in den Mittelpunkt der Kritik. Was solle denn das Reden über Integration, wenn permanent Gelder im sozialen Bereich gekürzt werden? Explodierende Mieten und eine hohe Arbeitslosigkeit, – damit seinen gerade in Osterholz-Tenever Menschen aller Nationalitäten bis zur Schmerzgrenze betroffen.
Geld fehle an allen Ecken, um Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen zusammenzuführen. Eine Kindergärtnerin: „Der Wunsch nach einem Bürgerzentrum für Tenever ist zwanzig Jahre alt. Nichts hat sich seither getan.“ Ohne Eigeninitiative der BewohnerInnen laufe nichts mehr im Stadtteil. „Und selbst wenn wir mit Eigeninitiative etwas auf die Beine stellen wollen“, so die erboste Frau, „kämpfen wir permanent gegen die Behörden, anstatt mit ihnen zusammenzuarbeiten.“
„Ich weiß, daß Ihnen in letzter Zeit viel zugemutet wird“, erklärte Senatorin Trüpel. Doch „Geld, das man für wichtig hält und verteilen will, ist einfach nicht da.“ Die Sparpolitik sei in allen Bremer Stadtteilen deutlich zu spüren. Gerade jetzt sei Eigeninitiave gefragt. Der wichtigste Ansatz für eine Lösung kam aus dem Stadtteil selbst: „Wenn wir gemeinsam miteinander leben wollen“, appelierte Monika Port an ihre Mit-BewohnerInnen, „dann müssen wir uns zuerst gegenseitig akzeptieren.“
André Hesel
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