: Leipziger Bodenreform
Nach der Pleite des Schneider-Konzerns hoffen Immobilienmakler auf gute Geschäfte / Die Stadt will den Handwerkern helfen ■ Aus Leipzig Detlef Krell
Überall, wohin man schaut, wird aufgebaut. In der Innenstadt dreht sich ein Kran neben dem anderen. Leipzig ist eine Baustelle; manche behaupten gar, „die zweitgrößte der Welt nach Shanghai“.
Nur am historischen „Barthels Hof“ dreht sich nichts mehr, und auch am Fürstenhof ist der Hammer gefallen. Auf den Renommierbaustellen des abgetauchten Doktor Jürgen Schneider patrouillieren Wächter mit Hund. Beamte des Bundeskriminalamtes haben gestern die Wohnung und neun Geschäftsstellen des Karibik-Urlaubers durchsucht. Wie viele Bauhandwerker der Immobilienkonzern allein in Leipzig in den Strudel seines Konkurses gerissen hat, ist noch ungewiß.
Der Präsident der Leipziger Handwerkskammer, Joachim Dirschka, will „alles tun, um zu verhindern, daß Handwerksbetriebe unserer Region nach der Schneider-Pleite in Konkurs gehen“. Sachsen hat Erfahrungen mit Westfirmen, die auf ostdeutschen Plätzen ihren Absturz inszenieren. Deshalb beriet sich Dirschka nicht nur mit dem Wirtschafts- und dem Finanzminister des Freistaates. Einen Termin hatte er auch bei Landwirtschaftsminister Rolf Jähnichen (CDU). So wie mit den Bauern beim Konkurs der „Südmilch AG“ und ihres Ablegers „Sachsenmilch“, so könnte die Landesregierung diesmal mit den Handwerkern ein Rettungsprogramm entwicklen. Im Gespräch sind verbilligte Kreditprogramme der Landesaufbaubank, die vom Land mit Bürgschaften abgesichert werden. Wilfried Heger, Direktoriumsmitglied der Sächsischen Aufbaubank, versprach Überbrückungsdarlehen zum Zinssatz von fünfeinhalb Prozent. Für drei Jahre könnten diese Kredite tilgungsfrei gestellt werden.
Doch bevor die Regierung ihren Mittelständlern helfen kann, will sie konkret wissen, wie hoch der Schaden ist. 60 Firmen haben sich bei der Handwerkskammer inzwischen als Opfer des Schneider-Betruges gemeldet. Ihre Verluste summieren sich auf 14 Milliarden Mark. Zu einer „Sonderveranstaltung Schneidercrash“ kamen etwa 40 Unternehmer in die Leipziger Handwerkskammer. Hinter fest verschlossenen Türen gab es Tips für Konkursverfahren und für Krisenmanagement. Nichts können die Firmen jetzt weniger gebrauchen als den öffentlichen Geruch der Zahlungsunfähigkeit. Diskretion ist Überlebenshilfe.
Der Chef des Hochbauamtes der Stadt Leipzig, Ludwig Schön, kündigte „für ausgewiesene Geschädigte erweiterte Möglichkeiten in der freien und beschränkten Auftragsvergabe“ an. So haben es der Oberbürgermeister und beide Kammern vereinbart.
Die ersten Scherben sind zusammengekehrt und gezählt, doch viele Betriebe haben noch Verträge mit Firmen geschlossen, die ihrerseits wieder von Schneider- Absenkern leben. Gespannt schauen Handwerker und Stadt auf die Bau- und Planungsgesellschaft „BUP Bau GmbH“. Die Leipziger Tochterfirma des Unternehmens Schneider sieht sich von der Pleite noch nicht betroffen: „Wir sind wirtschaftlich und rechtlich eine unabhängige Gesellschaft“, entwarnt Geschäftsführer Horst Fissenewert.
„Das kann Wochen dauern, bis alles rauskommt“, fürchtet der Sprecher der Handwerkskammer, Bernd Mühling. Doch es gebe auch „überraschende Solidarität“. Am „Sorgentelefon“ der Kammer melden sich Planungsbüros und Architekten, die Betrieben Aufträge anbieten.
Schneider ging, aber Leipzig kommt. Trotzdem. Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube (SPD) ist sich da ziemlich sicher. „Uns hat nicht jeder Investor gefallen, aber die Investitionen allemal“, hält er Kritikern vor. Bürosilos und Finanzpaläste zeichnen die Vorzeige-Boomtown des ostdeutschen Aufschwungs.
5.000 Wohnungen in luxussanierten Häusern stehen leer. Elf Objekte mit zum Teil mehreren Flurstücken sind an den Filet-Sammler gegangen. Lehmann-Grube wehrt sich nun gegen den Vorwurf, Schneider habe sich halb Leipzig krallen dürfen. Nur drei der elf Adressen habe die Stadt an den Makler verkauft. „Und die sind bezahlt.“
Die Mädler-Passage mit „Auerbachs Keller“ ist wieder das Glanzstück der Handelsstadt geworden. Gekauft und saniert hat sie Jürgen Schneider. Jetzt mußte die Mädler KG gegen den Bauherrn wegen Untreue klagen. Das tapfere Schneiderlein soll sich seit 1992 Mieteinnahmen in Höhe von 3 Millionen Mark auf dubiose Konten abgezweigt haben.
10.000 Handwerksbetriebe gibt es in Leipzig. Sie beschäftigen 100.000 Leute, mehr als die Industrie. Mit dem Handwerk strauchelt die Stadt. In den ersten vier Jahren Marktwirtschaft haben sich die Mittelständler mit Förderprogrammen über Wasser gehalten, der Schuldendienst beginnt meist erst jetzt. „Die Firmen haben noch keine Rücklagen bilden können, aber müssen nun voll im Wettbewerb bestehen“, weiß der Sprecher der Handwerkskammer. Doch nicht nur beim berüchtigten Schneider, auch bei vielen anderen Auftraggebern sei die „Zahlungsmoral im Eimer“. 13 Prozent der Handwerker in Leipzig besitzen keinen Grund und Boden. Bis jetzt haben sich Bankiers, die gegenüber dem Immobilienmulti einst so großzügig waren, mit Zusagen an die Handwerker auffallend zurückgehalten.
Oberbürgermeister Lehmann- Grube lehnt es ab, „Verantwortung für das, was geschehen ist“, zu übernehmen. „Aber ich habe Verantwortung für die Geschädigten.“ Die Stadt will, soweit sie kann, „Vorkasse“ leisten und Betrieben so über „Liquiditätslücken“ hinweghelfen. Das heißt, offene Rechnungen für kommunale Aufträge werden nicht einfach nur fristgemäß, sondern sofort bezahlt. Die städtischen Gesellschaften sind aufgerufen, sich an der „Vorkasse“ zu beteiligen. Vielleicht, orakelt der Stadtchef, hat der große Knall auch noch seine guten Folgen. Nach einer „Phase der Überhitzung“ könnten jetzt die Bodenpreise auf ein „normales“ Niveau stürzen. „Überhitzt“ hatten sie sich auf 40.000 Mark pro Quadratmeter Innenstadt. Das „normale Niveau“, verspricht in jedem Fall ein Geschäft. Die Makler, von denen eine Handvoll bekannter Namen in der Leipziger City längst ihre Reviermarken gesetzt haben, lauern schon auf die fetten Schneider-Happen.
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