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Angst vor obskuren Mächten

Eigentlich leben Griechen und Albaner in Südalbanien friedlich zusammen. Doch heute sorgen Geopolitik und Geschichte wie auch ein griechischer Radiosender für Unruhe  ■ Aus Gjirokaster und Konitsa Thomas Schmid

Vor zwei Jahren ist der Ruf des Muezzin zurückgekehrt. Nun schallt er fünfmal täglich über die schweren steinernen Dächer der Altstadt, die sich unterhalb der mächtigen mittelalterlichen Zitadelle den Berg hochzieht. In der Moschee, wo jahrelang ein Zirkus gastierte und zur Gaudi von groß und klein einen Bären tanzen ließ, ist der Gebetsraum wieder eingerichtet. 1967 hatte der kommunistische Diktator Enver Hodscha Albanien zum „ersten atheistischen Staat der Welt“ erklärt, die Gotteshäuser wurden zu Museen, Sporthallen und Restaurants umgebaut. 1994 gibt es in Gjirokaster, dem Hauptort des albanischen Südens, nicht nur eine Moschee, sondern auch einen Imam und sogar eine Koranschule.

Doch den über tausend Menschen, die sich täglich vor dem Minarett versammeln, geht es um Profaneres. Auf der andern Seite der Gasse, die sich hier zu einem kleinen Plätzchen erweitert, steht ein Haus mit blau-weiß gestreifter Flagge: das griechische Konsulat, für viele das Vorzimmer zum Paradies. Schließlich öffnet sich die Tür, ein Mann tritt auf die Straße, wo ein Dutzend Polizisten die Masse immer wieder mit groben Stößen, lauten Schreien und angedeuteten Hieben im Zaum hält, und liest die Liste vor, Namen für Namen, die meisten hören sich griechisch an, nur wenige albanisch. Die Aufgerufenen verschwinden im Haus. Wenn sie herauskommen, werden sie von einem Pulk Neugieriger umringt. Alle wollen den Stempel sehen.

Konsul Bornovas Vassilis bestreitet, daß Angehörige der griechischen Minderheit Albaniens bei der Visa-Erteilung bevorzugt behandelt werden, „auch wenn dies an sich verständlich wäre“. Jedermann habe Anrecht auf ein Visum. An die 2.000 Anfragen träfen jeden Tag ein. Bis zu 250 Personen würden täglich den begehrten Stempel erhalten, mehr sei beim reduzierten Personal des Konsulats nicht zu schaffen. Seit Generalkonsul Christos Iakovou das Land am 12. April als Persona non grata verlassen mußte, arbeiten die Griechen nur noch zu fünft. Dem Rausschmiß des Diplomaten war ein bewaffneter Überfall griechischer Terroristen auf eine albanische Kaserne vorausgegangen, bei dem ein Offizier und ein weiterer Soldat erschossen wurden. Nach albanischen Angaben trug das sechs- oder siebenköpfige Kommando griechische Militäruniformen. Die Verantwortung übernahm eine bislang ungekannte Gruppe mit dem Namen „Befreiungsfront von Nordepirus“ (MAVI). Mit „Nordepirus“ bezeichnen griechische Nationalisten den südlichen Teil Albaniens, wo zwischen 60.000 und 100.000 Griechen leben und den sie heim ins hellenische Reich führen möchten.

Der albanische Außenminister Alfred Serreqi sprach von einem „kriminellen geplanten Akt griechischer Spezialeinheiten“ und rief den UNO-Sicherheitsrat an. Letzten Dienstag setzten die Behörden in Tirana noch eins drauf: Elf Mitglieder von „Omonia“, der radikaleren der beiden Parteien der griechischen Minderheit im Land, wurden wegen „unerlaubten Waffenbesitzes“ festgenommen. Einige von ihnen sind immer noch in Haft. Die für vergangenen Freitag angekündigte Ausweisung von 13 der insgesamt 19 Diplomaten der griechischen Botschaft wurde in letzter Minute ausgesetzt.

Bornovas Vassilis, der Konsul von Gjirokaster, ist nun mal Diplomat und will sich also auf eine politische Diskussion nicht einlassen. Er sehe seine Aufgabe vor allem als „apostolische Mission“. Wie bitte? „Nein, nein, nicht im religiösen Sinn“, beeilt er sich zu präzisieren, er wolle dafür sorgen, „daß die Griechen hier in Albanien ein Leben in Würde führen können“. Genaueres ist aus dem Mann nicht herauszukriegen.

Doch von einem Leben in Würde kann schlechterdings kaum die Rede sein. Überall Enge, Dreck und Elend. Bis auf die wenigen öffentlichen Angestellten, die paar Dutzend Ladenbesitzer und die Glücklichen, die bei einer Schuhfirma, einem italienisch- griechischen Joint-venture, untergekommen sind, ist die ganze Stadt arbeitslos. Und wer Arbeit hat, trägt am Monatsende auch nur 4.000 Lek nach Hause, umgerechnet etwa 70 Mark, zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Gjirokaster, die Geburtsstadt der beiden bekanntesten Albaner, des Diktators Enver Hodscha und des Schriftstellers Ismail Kadaré, der ihr in seinem Roman „Chronik einer Stadt in Stein“ ein literarisches Monument gesetzt hat, Gjirokaster, dieses architektonische Juwel mit seinem dicken grauen Gemäuer, ist heute grauer denn je. Und nichts deutet darauf hin, daß es schon bald zu einem Umschwung kommen könnte. So wollen denn, so scheint es, alle nur das eine – ab nach Griechenland.

Man könnte annehmen, daß angesichts des täglichen Überlebenskampfes und der Hoffnungslosigkeit auch in diesem Teil des Balkans die ethnischen Spannungen zunehmen. Doch davon ist wenig zu spüren. Auch Sokrat Kalivopoulos, Präfekt des Bezirks Gjirokaster, betont, daß die Beziehungen zwischen den Volksgruppen ausgesprochen gut seien. Der Überfall von Griechen auf die albanische Kaserne habe in seinem Distrikt nicht zu Ressentiments gegen die Griechen geführt. Sokrat Kalivopoulos selbst ist Grieche, sein Vize, Thanas Anxhara, gehört der Minderheit der Vlahen an, eines vor Jahrhunderten aus dem Donauraum eingewanderten Volkes. Beide wurden auf der Liste der „Partei der Menschenrechte“, die moderatere der beiden politischen Organisationen der griechischen Minderheit, in ihr Amt gewählt.

„Niemand hier hat etwas gegen die Griechen“

„Alles Unsinn, was da an Konflikten herbeigeredet wird“, sagt auch Kastriot Kola, „niemand hier hat etwas gegen die Griechen, es gibt in der Stadt zwei griechische Zeitungen und zwei griechisch-orthodoxe Kirchen.“ Kola ist einer der 15 Studenten, die sich am griechischen Institut der Universität, das vor einem Jahr eingerichtet wurde, immatrikuliert haben. Der einzige albanische Albaner übrigens. Alle andern gehören der griechischen Minderheit des Landes an. Kola hat eine Vorliebe für alles Griechische. Daran ist in gewisser Weise sein Onkel Kurt schuld. Kurt Kola hat unter Hodschas Regime 27 Jahre in Gefängnissen und Lagern zugebracht. „Er ist unser Nelson Mandela“, meint der Neffe nicht ohne Stolz. Wegen seines berühmten Verwandten wurde ihm der Zugang zum Universitätsstudium verwehrt. So ist er schon 1990 illegal nach Griechenland abgehauen. Dort erkannte man ihm den Status eines politischen Flüchtlings zu.

Bashkim und Servet haben keinen berühmten Onkel, und sie mochten auch nicht warten, bis irgendein gnädiger Konsul ihnen irgendwann mal vielleicht doch noch ein Visum erteilt. Wie über 100.000 weitere Albaner sind auch sie illegal rüber, quer durch die Berge über die grüne Grenze. Das war vor zehn Tagen. Nun sitzen sie in Theodors kleinem Lokal in der Altstadt von Gjirokaster und schlürfen im Halbdunkel eine Suppe, die ihnen der gnädige Wirt hingestellt hat. Fünf Tage lang seien sie durch die Wälder Griechenlands geschlichen, hätten sich dann nach Patras durchgeschlagen und dort vergeblich nach Arbeit gesucht, berichtet Bashkim. Dann seien sie mitten in der Stadt von der Polizei aufgegriffen worden. Nun sitzen sie da, ausgehungert, in verschlissenen Klamotten, müde und ärmer als zuvor. Natürlich werden sie es noch mal versuchen. Oder sollen sie etwa mit leeren Händen zu ihren Eltern zurück?

„Wenn du auf den Berg dort hochsteigst, kannst du mit dem Fernglas erkennen, wie sie unten die Schlucht entlangkommen, über Wiesen rennen, wo sie ihre Feuer machen.“ Evangelos, Barbesitzer im nordgriechischen Konitsa, knappe 20 Kilometer jenseits der Grenze, hat nichts gegen die albanischen Flüchtlinge, doch ist er froh, daß nun die Polizeipräsenz im Dorf verstärkt wurde. Auf dem Berg, der ein Panorama über die Flüchtlingsströme bieten soll, steht die Antenne von „Radio Drynoupoli“. Das Studio des Senders ist in einem der obersten Häuser des Dorfes untergebracht. Dort hantiert Paulos am Schaltbrett. „Wir senden Psalme, Ansprachen, Gebete, Musik, Predigten zu unsern Brüdern im Nordepirus“, erläutert er das tägliche Programm. Was der Amateurtontechniker mit Nordepirus meint, geht aus einer großen Landkarte hervor, die gleich mehrfach im Lokal hängt. Griechenland erstreckt sich da bis zum Fluß Shkumbinit und hat damit zumindest auf der Karte und wohl auch in den Träumen der Radiomacher ziemlich genau die Hälfte Albaniens eingenommen. Argyrokastro, wie da Gjirokaster heißt, liegt nun nicht mehr 30 Kilometer nördlich der albanisch-griechischen Grenze, sondern über 100 Kilometer südlich. Daß ganz Epirus griechische Erde ist, steht für Paulos außer Frage. Hatte nicht auch der 1204 gegründete Staat Epirus südalbanische und nordgriechische Gebiete vereinigt?

Albanien versperrt Serbien den Adria-Zugang

Nach den Balkankriegen von 1912/1913 waren bei der Aufteilung der ehemals türkischen Gebiete auf dem Balkan vor allem Österreich-Ungarn und Italien an der Schaffung eines unabhängigen Albanien interessiert – um Serbien den Zugang zur Adria zu verbauen. Im Protokoll von Florenz wurde die bis heute gültige Grenze des neuen Staates festgelegt, die den vorwiegend albanisch besiedelten Kosovo Serbien überließ und griechisch besiedelte Gebiete Albanien zugestand. Damit war die Epirus-Frage geboren, die nun vom Sender in Konitsa über achtzig Jahre später wieder hochgekocht wird. In friedlicheren Zeiten wäre das vielleicht nicht mehr als ein abartiges Aperçu der Geschichte gewesen. Doch „Radio Drynoupoli“ wurde vom Metropolit Sevastianos, Bischof von Epirus, selbst gegründet, und eine ganze Reihe von Popen sind bei der Programmgestaltung federführend. Und welche Rolle die mächtige orthodoxe Kirche bei der Mobilisierung nationaler Gefühle spielen kann, hat sie im nahen Serbien gezeigt. Die Message von Konitsa jedenfalls läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Das Leben unserer Brüder (in Nordepirus) ist in Gefahr“, verkündet der Sender tagtäglich, „es gibt nur eine Lösung: Autonomie.“

Zwar fällt die Forderung im Süden Albaniens (noch) auf wenig fruchtbaren Boden. Und der griechischen Regierung, die ihr Land schon mit der Mazedonien-Frage ins europäische Abseits manövriert hat, will offenbar keinen albanisch-griechischen Konflikt vom Zaune brechen. Doch es ist nicht ausgeschlossen, daß Kräfte im griechischen Geheimdienst oder gar der Armee an einer weiteren Destabilisierung des Balkans interessiert sind und daß der Überfall auf die Kaserne als Signal gewertet werden muß. Für die meisten Albaner und Griechen in Gjirokaster handelt es sich letztlich um einen unbedeutenden Zwischenfall, der für einige wenige Tage für Gesprächsstoff im elenden eintönigen Alltagsleben sorgte. „Nein, es gibt bei uns ganz gewiß keine Probleme zwischen den Volksgruppen“, „hier in Gjirokaster heiraten wir Griechen Albanerinnen und Albaner Griechinnen“, „Religion spielt bei uns schon lange keine Rolle mehr“. Alles Sätze, die der Fremde im Süden Albaniens ständig zu hören bekommt. Verdächtig oft. Ob es nur Ausdruck einer unbewußten Angst ist, zum Spielball fremder obskurer Mächte zu werden? Manchmal jedenfalls ist der beschwörende Unterton nicht zu überhören: Laßt uns hier bloß in Frieden.

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