Stammtisch-Rassismus mit dem Leben bezahlt

■ Sieben Jahre Haft für Tötung eines Lokalgastes, der einen Pakistani beleidigt und diesem das Glas umgekippt hatte

Ein 54jähriger Postangestellter ist gestern wegen Totschlag zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Er hatte in einer Kneipe mit einem Schießkugelschreiber einen Lokalgast erschossen, der in übelster Weise über einen pakistanischen Rosenverkäufer hergezogen war. Diese Tatsache interessierte das Gericht jedoch überhaupt nicht. In der Urteilsbegründung sprach der Vorsitzende Richter Hansgeorg Bräutigam von einer „simplen, bedeutungslosen Kneipenauseindersetzung“, die einen „geradezu nichtigen Anlaß“ gehabt habe.

Es geschah im vergangenen Oktober spätabends in der Kneipe „Zum Guckloch“ in der Schlesischen Straße in Kreuzberg. Der 54jährige Pförtner bei der Post, Heinz H., hatte Spätschicht gehabt und kehrte vor der Heimkehr zu seiner behinderten, pflegebedürftigen Frau noch in seiner Stammkneipe ein. Der von Zeugen „als ruhiger, spendabler Einzelgänger“ beschriebene Mann fühlte sich in dem von Polen und Türken besuchten Lokal sehr wohl. Einen häufig dort auftauchenden pakistanischen Rosenverkäufer hatte er geradezu in sein Herz geschlossen. Er kaufte diesem nicht nur regelmäßig den ganzen Blumenstrauß ab, sondern lud ihn oft auch ein.

So auch in der Tatnacht. Doch diesmal saß der 47jährige Peter E. am Tresen. „Bei solchen Schweinen kauft man nicht“, pöbelte er und kippte dem Rosenverkäufer das Glas Orangensaft um. An die folgenden Ereignisse kann sich Heinz H. nicht erinnern. Vor Gericht wußte er nur noch soviel: „Ich wollte dem kleinen Ausländer Beistand leisten, weil ich mich mit ihm gut verstanden habe.“

Die Lokalwirtin, eine 63jährige Polin, berichtete als Zeugin, die beiden Gäste hätten sich lange gestritten. Peter E. habe immer wieder gesagt: „Ich hasse Ausländer, aber nicht alle.“ Heinz H. habe dagegen „die Ausländer immer verteidigt“. Später hätten sie in einer Ecke weitergestritten. Beim Tischabräumen habe sie Worte wie „Ich erschieße dich“ und „Schieß doch“ vernommen. „Heinz war voll wie eine Granate“, so die Wirtin. Plötzlich habe sie „einen „Krach“ gehört und Peter E. am Boden liegen sehen. Heinz H. habe „wie aus Stein“ dagestanden und gesagt: „Dafür kriege ich zwanzig Jahre.“

Peter E. starb noch im Lokal an einem Kopfsteckschuß. Die aus einem Schießkugelschreiber abgefeuerte Kugel war hinter seinem rechten Ohr eingedrungen, hatte das ganze Gehirn durchschlagen und war im linken Schläfenlapppen steckengeblieben. Das als verbotene Waffe eingestufte rosarote Tatwerkzeug sieht einem normalen Kuli täuschend ähnlich. Heinz H. hatte die Waffe eigenen Angaben zufolge für 160 Mark erworben. „Aus Angeberei“ stand für den Staatsanwalt fest, der gestern achteinhalb Jahre Haft forderte. Die Verteidigerin betonte dagegen, ihr Mandant habe Peter E. auf keinen Fall töten wollen. Doch ihr Antrag, den Angeklagten zumindest bis zur Rechtskraft des Urteils aus der Haft zu dessen pflegebedürftiger Frau zu entlassen, stieß bei den Richtern auf taube Ohren.

Mit gesenktem Kopf hörte Heinz H., wie der Vorsitzende Bräutigam in der Urteilsbegründung von einem hochgeschaukelten Streit „aus nichtigem Anlaß“ sprach, der später in einen Streit um die Bezahlung gegipfelt sei. Das Opfer habe den Angeklagten weder provoziert, beleidigt oder tätlich angegriffen. Aufgrund des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen ging das Gericht von einer verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten wegen dessen Trunkenheit – 2,8 Promille zum Tatzeitpunkt – aus. Der Gutachter hatte Heinz H. so beschrieben: „Er lebte ein dürftiges Leben ohne Höhen und Tiefen. Er arbeitete und pflegte seine Frau, die seit fünf Jahren das Haus nicht verlassen hatte und die ihm immer Vorhaltungen machte, wenn er in der Kneipe Abwechslung suchte.“ Plutonia Plarre