■ Die „Fünf Weisen“ bringen Scharping in Kalamitäten: Der Aufschwung als Abschwung
Seine Partei hat Rudolf Scharping bekanntlich im Griff. Bei den „Fünf Weisen“ bleibt sein Einfluß begrenzt. Die haben gerade diagnostiziert, was sich seit einiger Zeit ankündigt: Die Republik sieht dem nächsten Aufschwung entgegen. Nicht, daß man dem SPD-Kandidaten unterstellen wollte, er hätte sich lieber ein paar Negativprognosen gewünscht – ähnlich wie die Unionsstrategen den staatsmännischen Gestus des Kanzlers auch lieber vor dem Hintergrund außenpolitischer Krisenkumulation vermarkten würden ... Wie auch immer, die konjunkturelle Erholung durchkreuzt Scharpings eher passives Wahlkampfkalkül, wonach der Herausforderer nicht deshalb gewinnt, weil er sich als Alternative profiliert, sondern nur weil die amtierende Regierung mit ihrer Politik für alle spürbar am Ende ist. Stimmen also die Voraussagen, dann wäre es nur eine Frage der Zeit, wann sich die Linie von Helmut Kohls Wiederaufstieg mit der Rezessionskurve seines Herausforderers schneidet.
Oskar Lafontaine hat auf den neuen ökonomischen Trend bereits reagiert, das Wahlvolk vor allzu schnellen Wendungen gewarnt und einen „richtigen Aufschwung“ gefordert. Doch wenn der sozialdemokratische Wahlsieg jetzt schon davon abhängt, den BürgerInnen die Differenz zwischen einem richtigen und einem falschen Aufschwung einzubleuen, kann die Koalition in der Tat wieder Hoffnung schöpfen. Scharping muß nachbessern. Wie er es jüngst für die Außenpolitik vorexerziert hat, wo er bekanntlich auf Kontinuität setzt und zwischen sich und den Kanzler nichts kommen läßt, könnte er sich jetzt auch auf dem Felde der Ökonomie als Kohls genialer Trittbrettfahrer profilieren. Motto: „Mit uns macht Aufschwung erst richtig Spaß“. Anschmiegender Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.
Dennoch, es scheint, als räche sich bereits jetzt die von Scharping als „Konzentration auf das Wesentliche“ propagierte Politik. Wenn im Zuge des Aufschwungs auch die Angst der Wähler vor dem Arbeitsplatzverlust nachläßt, kehrt sich Clintons Erfolgsmotto, „it's the economy, stupid“, jäh gegen seine sozialdemokratischen Adepten. Die wären plötzlich die Dummen, nicht Kohl, nicht die Reformfreunde in der SPD, die mit dem lockeren Slogan in die Spielecke verwiesen werden sollten. Immerhin, die parteiinternen Skeptiker könnten jetzt – im Bündnis mit den Fünf Weisen – ihren Vorstellungen Nachdruck verschaffen. Denn wo die auf „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ orientierte Kampagne in die Sackgasse führt, hält sich auch das Risiko eines Reformwahlkampfes für ökologische Modernisierung, Umverteilung der Arbeit oder eine neue Einwanderungspolitik in Grenzen.
Auch damit wäre der Machtwechsel nicht garantiert. Doch ließe sich für ihn überzeugender werben als mit einer verdummenden Strategie der Problemreduktion. Von der Dämpfung gesellschaftlicher Reformbereitschaft jedenfalls kann sich die SPD wenig erhoffen. Glauben wir also noch eine Weile Rudolf Scharping. Ihm zufolge hat die Programmdebatte der SPD ja gerade erst begonnen. Matthias Geis
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