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Black & white – Geschichten aus dem neuen Südafrika Von Bartl Grill

Die kalte Herbstsonne versinkt hinter den gläsernen Wolkenkratzern von Johannesburg. Weg ist sie. Und nimmermehr wird sie der Apartheid scheinen. Baas und Boy, Madam und Maid – das Spiel der Unterdrücker ist aus, die Mutter aller Wahlen läuft. Und wir temporary residents, wir vorübergehenden Einwohner, stehen traurig vor den Wahllokalen und müssen leider draußen bleiben. Hingegen dürfen alle permanent residents mitmachen, obwohl sie Ausländer sind. 1:0 für das neue Südafrika!

In Deutschland wollen wir nicht, hier dürfen wir nicht. Jede Menge Zeit also, um über Sonderliches und Sonderlinge nachzudenken. Da ist Herr Leonard Veenendaal vom braunen Boerekommando. Der will nicht wählen. Er poliert lieber sein AK-47 und zieht in den heiligen Krieg gegen Kommunisten und Antichristen. Da ist John Lauf, der letzte Trotzkist. Wegen Zeitverschiebung darf er in Canberra das allererste Kreuzl malen (oder war's doch Mandelas Nichte in Neuseeland?). Und glatt bringt Genosse John die Workers' List Party von Professor Ndlovu in Führung!

Arbeiterklasse? Die hiesigen Grünen zerstreiten sich noch schnell über Fundamentalitäten – warum sollte es am Kap anders sein? Zwei Kandidaten haben nämlich dagga als ökologisch wertvolle Ressource entdeckt. Dagga ist der landesübliche Ausdruck für Marihuana. Allein, wir verstehen den ganzen Hader nicht. Die Losung „One man – one joint“ turnt doch an, oder wie oder was?

Nolizwe Mneno wählt nicht Marihuana, sondern Madiba. So heißt ihre Droge – Nelson Mandela – im Volksmund. Damit sie nichts falsch macht, übt sie feste. Immer wieder gleitet sie mit dem Finger über das Stimmzettel-Muster, und wenn der ANC und das Bildchen vom Madiba näherkommen, dann zittern die Fingerspitzen wie eine Wünschelrute. Ein Kreuz bei „Yes“ hat sie schon gemacht, ein ganz dickes noch dazu. Und zwar auf dem Papier des Innenministeriums genau hinter der Frage: „Sind Sie begierig (desirous) auf die süd- afrikanische Staatsbürgerschaft?“ So eine saublöde Frage an eine Südafrikanerin (schwarz), die schon 52 Jahre eine solche ist!

Da ist Clare Emery. Die kennt keine Schwarzen. Hat sie jedenfalls gesagt, als ein Schreiberling fragte, ob auch Afrikaner auf der Kandidatenliste ihrer Partei stehen. Aber dann hat sie flugs hinzugefügt: „Gut, da ist mein garden boy.“ Miss Emery ist Parteichefin von KISS, von der Keep Straight and Simple Party. Zu deutsch: Bleib dumm und lern nix dazu. Dazulernen muß Frederik de Klerk, der Oberbure. Zum Beispiel wie man einen Präsidenten-Schreibtisch abräumt: anfangen mit den Geheimpapierchen, aufhören mit dem Foto von herzallerliebst Marike. Häuptling Buthelezi, der Schutzheilige der Helmut-Adenauer-Stiftung, muß gleich ein ganzes Marionettentheater ausräumen, weil der ANC sein Reservat Kwa Zulu demnächst zusperrt.

Wilde Wahltage, komische Sachen. Schade, daß der Modrow Hans das nicht miterleben darf. Aber jetzt müssen wir sofort abbrechen. Die alte Fahne wird gleich heruntergeholt. Zapfensteich, aus, vorbei. Morgen wird die kalte Herbstsonne wieder aufgehen. Und dann werden wirklich nur noch Geschichten aus dem neuen Südafrika erscheinen. It's on, fest versprochen.

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