: Anmerkungen
■ betr.: „Gleiches Recht für alle“, Kommentar von Silvia Schütt, taz vom 21.4.94
[...] Zu dem Kommentar einige Anmerkungen: 1. Das Prinzip: „Rückgabe vor Entschädigung“ wurde seinerzeit von den Parteien CDU, FDP und SPD in der Volkskammer wie auch im Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit im Einigungsvertrag beschlossen. Seit mehr als drei Jahren bestätigen sich Nachteile dieses Prinzips bei der wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland. Dennoch wird dieses Prinzip in der Praxis durchgesetzt. Nicht durchgesetzt und als Sonderfall in diesem Prinzip behandelt werden lediglich die Mauergrundstücke, die – im Unterschied zu den sonstigen Grundstücken, die Privatpersonen gehören – im Eigentum des Staates, der Bundesrepublik, sind. Dieser hat offensichtlich die Macht, die Ausnahmen zu beschließen. Deshalb wäre die logische Forderung von Silvia Schütt: „Gleiches Recht für alle“, diesen Sonderfall aufzuheben und bei den Mauergrundstücken ebenfalls das Prinzip: „Rückgabe vor Entschädigung“ durchzusetzen. 2. Seit der Debatte um die Mauergrundstücke vor drei Jahren setzt sich Bündnis 90/Die Grünen in Berlin und Bonn für die Rückgabe an die ehemaligen Eigentümer ein. Insofern ist hier keine neue Qualität zu verzeichnen, vielmehr müssen CDU, FDP und SPD erklären, warum sie in Berlin dieses Prinzip durchgesetzt haben wollen, in Bonn aber ihre Parteifreunde dagegen sind, obwohl sie es seinerzeit selbst mit großer Mehrheit beschlossen hatten. Unabhängig, wie die individuelle Position zu diesem Prinzip ist, sollte doch auch Silvia Schütt akzeptieren, daß Recht und Gesetz für alle gelten, unabhängig davon, wer den einzelnen Vorteil jeweils hat. 3. Selbstverständlich haben 40 Jahre DDR-Geschichte Tatsachen geschaffen, die nicht einfach aus der Welt zu bringen sind. Aber die Grenzordnung der DDR vom 25. März 1982 führt in Paragraph 9 eben aus: „Grundstücke, die nicht mehr für Maßnahmen zum Schutz der Staatsgrenze benötigt werden, sind an die Rechtsträger, Eigentümer oder sonstigen Nutzer zu übergeben.“ Auch im bundesdeutschen Recht existiert das „Rückenteignungsrecht“, das die Rückgabe von enteigneten Grundstücken zwingend vorsieht, wenn der Zweck der Enteignung entfällt. In der Kontinuität des DDR-Rechtes wie auch des bundesdeutschen Rechtes müssen eben bei Fortfall des Zweckes der Enteignung – eben der Mauerbau – die Enteignungen wieder rückgängig gemacht werden. 4. Auch wenn wir gegen das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ waren, ist die gegenwärtige Praxis doch so, daß dieses Prinzip zu Recht geworden ist. Von daher geht es nicht mehr darum, was besser wäre, sondern das, was Recht ist, und dieses muß für alle gelten, auch für den Staat, selbst wenn er dadurch finanzielle Verluste hat. 5. Die Enteignungen wegen des Mauerbaus sind auf der Grundlage des Verteidigungsgesetzes der DDR durchgesetzt worden. Aufgrund des entmilitarisierten Status von Berlin, der im Potsdamer Abkommen von allen vier Siegermächten beschlossen worden ist, dürften völkerrechtlich die Verteidigungsgesetze der DDR, zumindest in Berlin, nicht gelten. Deshalb brauchten Westberliner auch nicht zur Bundeswehr, Ostberliner wurden – unter Protest der übrigen drei Alliierten – zur Nationalen Volksarmee einberufen. Der sich auf den entmilitarisierten Status damals beziehende Kriegsdienstverweigerer Nico Hübner wurde lieber in den Westen abgeschoben, als daß die DDR riskierte, von einem Gericht der Verletzung internationaler Verträge bezichtigt zu werden. 6. Neben der juristischen und völkerrechtlichen Dimension hat die Rückgabe der Mauergrundstücke selbstverständlich auch eine politisch-moralische. Nach wie vor ist der „Kanzler der Einheit“ Helmut Kohl gefragt, warum sein durchgesetztes Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ ausgerechnet bei dem Mauergrundstücken nicht gelten soll und er schwerlich den Vorwurf widerlegen kann, er wolle sich an Honeckers Mauerbau bereichern. Michael Cramer, Fraktion Bündnis 90 Grüne (AL) UFV, MdA
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