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Gedrängel vorm Heimatfenster

■ Im Gespräch: Jens Meyer, Redaktionsleiter von „Buten & Binnen“, über die Zukunft des Lokalfernsehens in Zeiten der Kanalüberflutung

Mit zäher Liebe zum etwas anderen, kritischen Journalismus verteidigt die wackere „Buten & Binnen“-Mannschaft ihren Sonderstatus unter den Heimatjournalen. Nun gab's schon wieder Lob & Preis: diesmal im 21. Regional-Wettbewerb, aus dem die „Aktuelle Stunde“ des WDR und eben „Buten & Binnen“ siegreich hervorgingen. Wie lange sich dies zähe Pflänzchen hält, hängt freilich u.a. von der neuerlich drohenden Programmflut ab. Eine Tagung zum Thema, die Radio Bremen jetzt veranstaltete, brachte allerdings wenig Klarheit darüber, was die Digitalisierung des Fernsehens für die Regionalsendungen mit ihren ganz alltäglichen Nöten bedeutet. Redaktionschef Jens Meyer übt sich vorerst in Gelassenheit und will das Bremer Konzept gegen die anbrandenen Kanalfluten gut abschotten.

Sehen Sie Ihre künftige Konkurrenz eher in den Privaten, die regionale Fenster aufmachen und in diese Nische drängen, oder in der Flut neuer Spielfilmsender, die ja schon abzusehen ist?

Die Konkurrenz im Unterhaltungsbereich wird sicher stärker werden. Was uns die Techniker sagen, ist, daß wir in fünf bis zehn Jahren bis zu 500 Kanäle haben könnten. Das hört sich ja erstmal erschreckend an. Im Wesentliche werden da wohl Spielfilme gedudelt, aber natürlich werden dort auch mehr regionale Anbieter auftreten, der kuriosesten Art, der ernstesten Art. Die Frage ist, ob die etwas ähnliches an Regionalprogrammen auf die Beine stellen können wie die Öffentlich-Rechtlichen. Darum bemühen sich einige Private schon. Wenn das auf „Waynes World“ hinausläuft, ist ein Kanal damit vielleicht ganz schön. Aber zehn „Waynes World“-Kanäle werden sich ja auch gegenseitig kaputtmachen.

Mehr Übertragungskapazität: Heißt das, alles wird noch schneller, schöner, brillanter, oder bringt das auch inhaltliche Konsequenzen mit sich?

Das hat immer inhaltliche Konsequenzen. Wenn ich mir vorstelle, was es allein für ein Qualitätssprung gewesen ist, als wir von Film auf Video umgestellt haben. Da ist natürlich alles sehr viel schneller geworden und dadurch auch hastiger. Wir haben häufiger Berichte im Programm, wo das Ereignis gerade mal zwei Stunden zurückliegt. Daß sowas Abstriche an der Qualität bedeutet, ist glaube ich zwangsläufig. Was ich für die Zukunft befürchte, ist, daß wir eine Technik bekommen, die uns Live-Übertragungen in jeder Situation erlaubt. Erstens können Live-Übertragungen furchtbar langweilig sein. Zweitens fällt dann dieses Argument „schneller“ auf einmal weg – Sie sind nämlich immer live dabei.

Hubert Burda hat für den Nachrichtenstil der Zukunft schon die Begriff „Individuelles Informieren“ und „News-on-demand“ auf den Markt geworfen. Da muß man sich wohl vorstellen, daß jeder Zuschauer auf Knopfdruck jede beliebige Information abrufen kann. Gibt es dadurch einen Zwang zu ständiger Aktualisierung, rund um die Uhr?

Nicht unbedingt. Bei 500 Kanälen kann ich mir nicht vorstellen, daß die Zuschauer sich täglich ihre Programmzeitschrift daraufhin angucken: Wo gibt es jetzt eigentlich die schnellste Information? Nehmen wir zum Beispiel die Tagesschau. Die könnte man irgendwann sicher bei Kerzenbeleuchtung in Latein verlesen, weil es einfach ein Ritual geworden ist, um acht Uhr abends vorm Fernseher zu sitzen. Wenn ich sehe, daß sich die meisten Leute eine völlig antiquierte Form von Nachrichten ansehen – dann muß das doch was damit zu tun haben, daß sich jeder Mensch seine Zeit einteilt. Das heißt bei vielen eben: um acht Uhr Tagesschau. Das heißt bei vielen in unserem Senderaum Gott sei Dank: „Buten & Binnen“.

Wenn es nicht um Geschwindigkeit geht, bedeutet das dann: noch mehr Hintergrundberichte?

Darum bemühen wir uns ja. Qualität kann man natürlich unterschiedlich definieren. Aktualität und Schnelligkeit und Livecharakter, das sind sicher Merkmale von Qualität. Aber das ist nicht alles. Wenn Sie nicht die Hintergrund-Informationen dazuliefern, wäre ich jedenfalls als politisch interessierter Mensch mit dem Programm nicht zufrieden. Ich würde mal behaupten, daß die „Tagesschau“ ohne die „Tagesthemen“ heutzutage keine besonders gute Sendung mehr wäre. Sie brauchen einfach den längeren Bericht, der den Hintergrund liefert, der Hilfen anbietet, diese komplexen Geschichten zu verstehen.

Die Jury des Wettbewerbs hatte diesmal Schwierigkeiten, überhaupt eine Sendung auszuzeichnen. Ist die Qualität doch nicht so doll bei den Regionalsendungen?

Das ist eine Klage der Jury, so lange es diesen Wettbewerb gibt. Wir haben uns 20 Beispiele von „Buten & Binnen“ angesehen und dann festgestellt: Es gibt einfach keine perfekte Sendung. Noch an den besten Beiträgen finden wir immer wieder ein Haar. Ich glaube, daß die Jury da möglicherweise Ansprüche hat, die von den heutigen Gegebenheiten ein bißchen weit weg sind. Wir haben haben diesmal versucht, eine Sendung herauszusuchen, die wir für typisch halten, in der nicht alltägliche Elemente drin sind, wie der plattdeutsche Wetterbauer, eine Glosse, das ganz besondere Interview oder der Blick über den Tellerrand – ein Beitrag über die Shakespeare Company in London. Aber diesen Standard schaffen wir auch nicht jeden Tag. Ich weiß nicht, welche Standard sich die Jury da vorstellt.

Die Frage ist, welchen Standard stellen Sie sich vor. Was zeichnet denn „Buten & Binnen“ gegenüber anderen regionalen Fenstern aus?

Erstmal die Kleinheit des Sendegebietes. Da haben wir gegenüber den Flächenländern natürlich erhebliche Vorteile. Der andere Punkt ist, daß es hier journalistische Kompetenz gibt. Sie haben natürlich in jedem Sendegebiet Ereignisse, die sich ständig wiederholen. Wie der Kindergarten, der nicht eröffnet wird oder die Schule, die nicht renoviert wird. Wir wollen einen jeweils neuen Blick auf solche Ereignisse entwickeln. Im Grunde also als Realist die Welt immer wieder neu angucken. Das ist was sehr Schwieriges.

Fragen: Thomas Wolff

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