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Wenn Arbeiter unternehmen...

■ Zehn Jahre Arbeitnehmerbetrieb AN: Nun ein moderner Öko-Betrieb

„Ich möchte diese Jahre nicht noch einmal durchmachen“, sagt Harald Roth. Er ist einer der sechs Mitarbeiter der Maschinenbaufirma AN, die gestern ihr „zehnjähriges“ feierte.

„AN“ steht für Arbeitnehmerbetrieb. Vor zehn Jahren sollte der Betrieb im Gröpelinger Hafen, der damals zur Heidenheimer Firma Voith gehörte und nicht mehr als eine verlängerte Werkbank war, geschlossen werden. „Wir wissen bis heute nicht, warum“, sagt der Geschäftsführer Werner Westphal. Der Bremer Betrieb schrieb schwarze Zahlen – ohne die Mutterfirma war er aber nicht lebensfähig. Einige engagierte Leute wollten sich damals nicht abfinden mit der Schließung und träumten von einem „Arbeitnehmerbetrieb“. Andere sahen keine Chance für sich auf dem Arbeitsmarkt und schlossen sich den Idealisten an. Und so entstand, ohne Unterstützung der Gewerkschaften, ein Betrieb von anfangs ca. 50 Leuten, der sich verzweifelt gegen die unternehmerische Vernunft stämmte.

„Lohnfertigung“ war die kurzfristige Überlebensformel: Wie zu Voith-Zeiten arbeiteten die Leute von AN ab, was sie an Aufträgen bekamen – selbstorganisiert, aber für andere. Daneben arbeiteten die Idealisten an einem Projekt: Umweltschutz-Technik wollten sie entwickeln und verkaufen, zum Beispiel alternative Energie aus Windkraftwerken. Damals war keineswegs ausgemacht, daß die Monopolunternehmen der Energieversorgung einmal den Windstrom kleiner Stromproduzenten zu einem gesetzlich garantierten Preis abnehmen müßten, der die Wind-Energieanlagen zu einer rentablen Sache machen würde. „Heute ist das ein narrensicheres Geschäft. Die Banken drängen sich danach, Windenergieanlagen zu finanzieren“, sagt der Geschäftsführer. Bei AN werden Wind-Rotoren verschiedener Leistung in Lizenz des dänischen Unternehmens Bonus hergestellt.

Die „Lohnfertigung“ hingegen, anfangs Überlebensmittel des Betriebes, hat heute keinen nennenswerten Anteil mehr am Umsatz. Die „Betonfraktion“ unter den Beschäftigten, CDU-wählend und gewerkschaftstreu, die idealistische Projekte ablehnte und alle Aufträge annehmen wollte, ob Kanonenrohre für den Leopard zu drehen waren oder was auch immer, hat Unrecht behalten: Mit der Öffnung der Grenzen nach Osteuropa sind die einfachen Aufträge der Lohnfertigung ausgeblieben, das können andere billiger. Im vergangenen Jahr mußte AN aus dieser Abteilung sogar Leute entlassen.

Die Abteilung der Idealisten expandierte stattdessen: inzwischen beschäftigt AN über 70. „Mit Wind hatten wir einen guten Riecher“, freut sich Geschäftsführer Westphal. Sieben, acht Anlagen liegen in der Halle im Industriehafen und sind im Bau, mit 32 Millionen Umsatz zählte AN 1993 zu den vier erfolgreichsten Produzenten der Branche.

Ralf M. ist seit 1991 dabei. Auf den „Windenergietagen“ in Husum knüpfte er Kontakt zu AN, vorher hatte er in einem Kohlekraftwerk Betriebsschlosser gelernt. Das Produkt überzeugte ihn – er wechselte. Und ohne strenge Hierarchie zu arbeiten, ist „sehr angenehm“, fügt er heute hinzu.

Matthias Bohn ist seit einem Jahr dabei. Er ist gelernter Bootsbauer, Kaufmann, hat einige Semester Physik studiert, spielt zu Hause Schlagzeug. Ein Idealist? „Bedingt“, sagt er. Als Monteur verdient er bei AN nicht weniger als anderswo.

Maschinenschlosser Harald Roth, der Betriebsrat, ist von Anfang an dabei (vgl. das „Nachgefragt„ von 1985). Zunächst war er in der Abteilung „Lohnfertigung“, seit dem letzten Herbst arbeitet er sich bei der „Windenergie“ ein. Er hat die Phase des Existenzkampfes mitgemacht – und weiß, warum der Arbeitnehmerbetrieb wieder zu klassischen Unternehmensformen gefunden hat: Sich schlaflose Nächte zu machen in Sorge um den Betrieb, das war nicht jedermanns Sache. Das wollten nur wenige. Am Anfang waren es rund 50, die das Stammkapital von 50.000 Mark aufbringen wollten. Viele sprangen aber schnell ab und wollten ihren Tausender wiederhaben. Als 1989 ein geringfügiger Banckredit besorgt werden mußte, wollte die Belegschaft nicht haften. Drei Mitarbeiter übernahmen die Haftung – und die Gesellschafteranteile der Belegschaft. Später stieg die staatseigene Hibeg mit einem Millionen-Kredit ein und übernahm 25 Prozent der Anteile.

Aber obwohl nur verschwindend wenige die lange Geschichte des Überlebenskampfes miterlebt haben – bei AN ist doch vieles anders als anderswo. „Hier wird anders miteinander umgegangen“, beschreibt das der Betriebsrat. „Andere Freiheiten“. Nicht die Freiheit, zu bummeln – eher im Gegenteil. Es gibt keine Betriebsversammlungen mehr, auf denen die gesamte Belegschaft die Sorgen des Unternehmens teilt, aber dennoch eine große Identifikation. „Keine unnötige Hierarchie“, beschreibt Westphal die moderne Unternehmensphilosophie, „die Denkweise ist wie in einem Arbeitnehmerbetrieb“. Bei AN wird auch, das liegt am Produkt und an der geringen Kapitalausstattung, nichts auf Lager gelegt oder produziert.

Weit bedeutsamer noch als die Windenergie wird die Technik der Blockheizkraftwerke sein. Da hat AN ein eigenes Aggregat entwickelt. Wenn demnächst politische Förderprogramme greifen, dann will AN auch mit größeren Modulen am Markt präsent sein. „Vor zehn Jahren wurde das noch belächelt“, sagt Geschäftsführer Westphal stolz.

Einen dritten Bereich, der den Firmennamen „Umweltschutztechnik“ rechtfertigt, soll später einmal die anärobe Vergärung darstellen, eine Biogas-Anlage aus organischen Abfällen. Bei den immensen Investitionskosten in diese Entwicklung hat die bremische Staatsfirma Hibeg mit Millionen-Kräften geholfen. AN baut derzeit eine Demonstrationsanlage für den Landkreis Oldenburg. „Dort wird die Braut schön gemacht“, freut sich der Geschäftsführer. Wenn die Anlage so funktioniert, wie es gedacht ist, dann hat sich AN einen ordentlichen technologischen Vorsprung gesichert. „Die Produkte des Unternehmens sind auf Wachstumsmärkten im Umweltschutzbereich angesiedelt“, steht in der Pressemitteilung zum zehnjährigen Überleben bescheiden.

Mit den neuen Produkten ist auch die Zahl der „bedingten Idealisten“ in der Belegschaft angewachsen. Zwei ganz handfeste Ideen werden derzeit in den Köpfen gewälzt: Durch eine Erfolgsbeteiligung soll die Motivation der Beschäftigten dauerhaft gestärkt und belohnt werden. Und zum anderen soll auch der Erfahrung einzelner, die sich „privat“ an einem Windkraftwerk beteiligt haben, eine Chance für alle werden: Die Mitarbeiter könnten, so die Idee, sich gemeinsam an Windenergie-Parks beteiligen. Ganz nüchtern gesehen wäre das eine zusätzliche Rentenversicherung. Und ein Beispiel dafür, daß es sich lohnt, wenn Arbeiter was unternehmen.

Klaus Wolschner

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