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Nachschlag

■ „The Changeling“ im bat-Studiotheater und im Schokoladen

Es kommt selten vor, daß sich zwei Archäologenteams aus verschiedenen Richtungen an denselben Schatz herangraben. Jetzt aber haben zwei Berliner Theatergruppen gleichzeitig ein fast vergessenes Renaissancestück entdeckt. „The Changeling“, verfaßt um 1622 von Thomas Middleton und William Rowley, ist eine blutige Tragödie um weiblichen Wankelmut mit einer eingebauten kompletten Komödienhandlung. Diese Doppelung macht Längen unvermeidlich. Das bat-Studiotheater hat das in seiner Inszenierung von Kurt Veth hingenommen, das „theater brute“ dagegen entschied sich für eine Radikallösung.

Schauplatz der Ereignisse ist eine italienische Festung. Braun- orange Stellwände machen aus der Bühne des bat-Studiotheaters den Innenraum einer Burg, mit grob behauenen Mauern und einer Vielzahl raffiniert eingefügter Fenster, Luken und Ritzen. Die Tochter des Burgherrn, Beatrice-Joanna (Franziska Geyer), schneeweiß gekleidet und weiß geschminkt, wird von drei Männern leidenschaftlich geliebt: ihrem Verlobten Alonzo, dem Edelmann Alsemero und dem häßlichen Diener De Flores. Um Alonzo loszuwerden und Alsemero heiraten zu können, stiftet sie De Flores zum Mord an und muß dann erkennen, daß sie ihm als „in Blut getauchte“ Frau ausgeliefert ist. Den düsteren Außenseiter De Flores verkörpert Robert Kuchenbuch als Desperado. Den Cowboyhut in die finstere Stirn gezogen und Cowboystiefel an den Füßen, schlendert er machohaft lässig einher, bis er, von der „anständigen“ Gesellschaft entlarvt, Beatrice und sich erdolcht und zuckend und trampelnd den Tod findet. Die moralisch unanfechtbaren Überlebenden nehmen die Katastrophe gelassen hin, stoßen mit Sekt auf eine bessere Zukunft an und intonieren ein elisabethanisches Madrigal.

Auch in der komischen Handlung geht es um Leidenschaft und Verstellung. Ein alter gamaschenbewehrter Pedant fürchtet nicht zu Unrecht um die Treue seiner Frau Isabella, die Judith van der Werff als raffiniertes Flittchen darstellt. In dem Irrenhaus, das ihr Mann leitet, werden echte und bloß verkleidete Narren brutal mit dem Ochsenziemer domptiert, und ausgerechnet der Irrenwärter, der gleichzeitig Isabellas Tugendwärter ist, will ihr an die Wäsche. Das alles zieht sich teilweise arg in die Länge. Das theater brute hat deshalb – wie auch aus finanziellen Gründen – kurzen Prozeß gemacht und die gesamte Irren-Komödie einfach weggelassen. In der Halle 10 des Schokoladens, deren Wände schon von selbst so unbehauen und düster aussehen wie die einer alten Festung, haben die Laien das Drama unter dem Titel „Liebe liegt blutend“ geschickt als psychologisches Kammerspiel inszeniert (Regie: Till Harms). Während die Beatrice im bat-Studiotheater eher statisch agiert und im Grunde rätselhaft bleibt, verkörpert sie Maud Glasstetter als temperamentvolle Dickmadam, deren biedermeierlicher Gemütlichkeit man die Greueltaten des Stücks erst gar nicht zutraut. Aber dann glimmt überzeugend Bosheit in ihren Augen, und auch die aufkeimende Leidenschaft zu De Flores (Michael Sauer) erscheint viel glaubwürdiger als in der konkurrierenden Inszenierung. Für den Wegfall der Komödie wird das Publikum durch den herrlich aufdringlichen Diener Jasperino, eine berlinernde Diaphanta und die witzigen Szenen um Alsemeros pharmazeutischen Jungfernschafts-Test reich entschädigt. Ein besonderer Vorzug der Inszenierung im Schokoladen ist die neue Übersetzung von Marc Pommerening, die im Gegensatz zur etwas drögen Prosa der bislang einzigen deutschen Übersetzung von Karsten Schälike den Blankvers des Originals imitiert. Auch wenn die Verse zuweilen sechshebig geraten – das ist Middleton/Rowley auch passiert. Und an einigen Stellen ist die Übertragung einfach grandios: „So wie ein Kind sich in den Schlummer weinen muß, erkeifen Weiber sich den Weg zum Koitus.“ Miriam Hoffmeyer

„The Changeling“ am 7./13.5., 19.30 Uhr, am 8.5., 18 Uhr, bat- Studiotheater, Belforter Straße 15; „Liebe liegt blutend“ vom 6.–8.5. und 12.–15.5., 20.30 Uhr, Schokoladen, Ackerstraße 169.

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