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1. Mai 1994: Kampftag der Polizei

■ 4.000 Polizeibeamte kamen doch noch zum Einsatz: Polizeikessel gegen Anti-FAP-Demonstranten in Prenzlauer Berg / Insgesamt 139 Festnahmen und in Kreuzberg die üblichen Scharmützel

Die massiven Polizeikräfte, die am Sonntag rund um die 1.-Mai- Veranstaltungen zusammengezogen waren, kamen am Abend doch noch zum Einsatz. Nachdem am Morgen die rechtsextreme „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) ihre Kundgebung in Johannisthal im Bezirk Treptow abgesagt hatte, trafen sich am Nachmittag Anhänger der FAP in einer Wohnung in der Grellstraße im Prenzlauer Berg. Gegen 18 Uhr löste die Polizei dann eine unangemeldete Demonstration der FAP auf und nahm 25 Personen vorläufig fest. Nach Angaben von Augenzeugen wurde zur gleichen Zeit eine Gruppe von 57 Gegendemonstranten an der Dimitroffstraße von einer Einsatzbereitschaft der Magdeburger Polizei eingekesselt und zunächst ohne Angabe von Gründen zwei Stunden festgehalten. Danach sei die Gruppe in „Festsetzungsgewahrsam“ genommen worden und zur Feststellung der Personalien und Aufnahme von Polaroid-Fotos auf den Polizeiabschnitt Perleberger Straße gebracht worden. Nach Angaben eines Rechtsanwalts, der das Vorgehen der Polizei beobachtet hat, habe der Einsatzleiter der Magdeburger Polizeikräfte die Einkesselung und Festnahme damit begründet, daß verhindert werden sollte, daß eine „gefährliche Gruppe“ sich mit anderen Gegendemonstranten vereinigen könne. Ein Sprecher des Bündnisses gegen den FAP-Aufmarsch wertete den Polizeieinsatz gestern als Skandal und unverhältnismäßig. Die Polizei wollte gestern zu den Festnahmen in Prenzlauer Berg keine Angaben machen. Statt dessen dankte Innensenator Dieter Heckelmann den 4.000 eingesetzten Polizeibeamten, die bewiesen hätten, daß gewaltbereite Demonstranten in Berlin keine Chance hätten.

Insgesamt wurden nach Polizeiangaben am 1. Mai 139 Personen festgenommen. Gegen 40 von ihnen werde unter anderem wegen Landfriedensbruch und Sachbeschädigung ermittelt. 15 Teilnehmer einer Demonstration der stalinistischen RIM wurden am späten Nachmittag vor dem Brandenburger Tor festgenommen, nachdem sie zuvor eine Deutschlandfahne verbrannt hatten. Der Demo- Lautsprecher wurde nach Polizeiangaben sichergestellt, weil über ihn „Beleidigungen und Aufrufe zu Straftaten“ verbreitet worden seien.

Am Abend kam es in Kreuzberg zu Festnahmen, nachdem die Polizei ohne Angabe von Gründen das Straßenfest gegen 20 Uhr aufgelöst hatte. Von seiten der Demonstranten seien nach Polizeiangaben Steine und Flaschen geworfen worden. An den Gewälttätigkeiten hätten sich zumeist „Kids und Jugendliche“ beteiligt. 34 Beamte seien leicht verletzt worden. Erhebliche Verletzungen habe sich dagegen ein 28jähriger Demonstrant zugezogen, als er nach seiner Festnahme aus einem Mannschaftswagen der Polizei gesprungen und über die Fahrbahn geflüchtet sei. Dabei sei er von einem LKW erfaßt worden. Der LKW-Fahrer habe Fahrerflucht begangen.

Unterdessen protestierte die Organisation SOS-Rassismus gegen das Vorgehen der Polizei auf der DGB-Kundgebung im Lustgarten. Wegen Zeigens von „PKK- Symbolen“ waren dort Polizeibeamte mit Knüppeln gegen etwa 50 kurdische Demonstranten vorgegangen. Der Einsatz der Polizei sowie die offensichtliche Duldung durch den DGB, so „SOS-Rassismus“, sei ein weiterer Schritt zur Diskriminierung und Kriminalisierung des kurdischen Volkes. Uwe Rada

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