: „Deutsche Polizisten – Gärtner und Floristen“
■ 2.500 TeilnehmerInnen machten die 1.-Mai-Demonstration der Kreuzberger Patriotischen Demokraten zu einer wohltuend selbstironischen Inszenierung
Die Zeit geht vorbei, und die Slogans verändern sich. Auch der Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse hat sich gewandelt. Statt wie in jedem Jahr zur autonomen 1.-Mai-Demo mehr oder weniger ironisch die Weltrevolution zu propagieren, hatten die verdienten GenossInnen der Kreuzberger KPD-RZ („Kreuzberger Patriotische Demokraten, Revolutionäres Zentrum“) diesmal zur Kundgebung „Gegen nächtliche Ruhestörung und sinnlose Gewalt“ aufgerufen.
Um selbstbewußt den Vorwurf der Engstirnigkeit zu entkräften, hatten sie differierende Ansichten und Minderheitenblöcke zugelassen, die unter den Parolen: „Gegen nächtliche Ruhestörung – für sinnlose Gewalt“, „Für nächtliche Ruhestörung – für sinnlose Gewalt“, resp. „Für nächtliche Ruhestörung – gegen sinnlose Gewalt“ vom Marheinekeplatz zum Kottbusser Tor zogen. Den Stalinisten von der RIM und den traurigen Langweilern vom DGB hatte man diesmal den Tag überlassen und zog erst gegen 21 Uhr mit etwa 2.500 Gutgelaunten durch enge Straßenzüge.
Die Stimmung war so großartig wie seit Jahren nicht mehr; denn die autonome Demo verzichtete diesmal auf alle plakativen Formen einer Pseudoradikalität, auf Auseinandersetzungen mit der RIM, auf die bis zum Erbrechen bekannten Parolen – „Polizei SA-SS“, „Haut ab“ (mit hysterischem Tremolo) etc. – oder die ausgeleierten Evergreens von „Ton Steine Scherben“. Souverän weigerte man sich, Polizei oder RIM als Gegner anzuerkennen und sich über diesen Gegner zu definieren. Subversiv nahm man sie statt dessen nicht ernst – statt „Mörder und Faschisten“ hieß es, selbst noch als die Bullen überfallartig am Ende marodierend am Kottbusser Tor die Demonstranten überfielen: „Deutsche Polizisten – Gärtner und Floristen“ oder „Gärtner und Puristen“. Selbst noch beim Wegrennen skandierten viele: „Ihr seid blöde.“
Revolutionäre Puristen, die vermeintliche Massenwirksamkeit nach dem Ausmaß zerbrochener Scheiben und dem Grad der Auseindersetzungen mit den Bullen berechnen, werden an der Demo, die wohltuend auf alle Inhalte revolutionären Anachronismus verzichtete und statt dessen die subversive Form wählte, vermutlich wenig Freude gehabt haben.
„Ein Kampf, ein Wille, Mut zur Stille“
Denn statt sich an anachronistischen Parolen zu berauschen oder die Auseinandersetzung mit den Bütteln des Systems zu suchen, skandierte man mit großer Begeisterung: „Wir wollen schlafen“, rief „Nächtliche Ruhestörung ist verwerflich“, „Ruhestörung wollen wir nicht“, drohte „Ruhe, sonst knallt's“; „Ich muß morgen arbeiten“ oder „Ein Kampf, ein Wille, Mut zur Stille!“ hallte es begeistert durch die Kreuzberger Straßenschluchten. Mit einem energischen „So nicht“ auf Transparenten verwahrte sich die lärmende Menge gegen den lärmenden Zeitgeist, und das war unglaublich komisch, lustig, sympathisch und intelligent in einer Zeit, die zwar immer mehr Anlaß zum radikalen Protest bietet, in der sich aber die Worte des Protestes erschöpft haben und oft nur noch lächerlich wirken.
Die subversive Form des Protestes wurde durchaus verstanden. Obgleich es in den letzten Jahren kaum eine friedlichere Demo gegeben hat – lediglich eine Handvoll Demonstranten wackelte am Ende ein bißchen an einer Wanne herum –, trieben wohl hundert stockschlagende Bullen zwischen Admiralstraße und Kottbusser Tor ohne Vorwarnung (oder die war so leise, daß es niemand hörte) die Demonstranten auseinander.
Offensichtlich konnten sie es nicht ertragen, es mit Leuten zu tun zu haben, die sie nicht als „Mörder und Faschisten“, sondern schlicht als „Ruhestörer“ und „Spielverderber“ beschimpften. Detlef Kuhlbrodt
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