: Rössners Weg vom Täter zum Opfer
Jeder andere Gefangene wäre längst wegen Haftunfähigkeit entlassen worden, beim RAF-Inhaftierten Bernd Rössner mahlten die Mühlen von Politik und Justiz besonders langsam ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) – Als Richard von Weizsäcker Ende vergangener Woche seine Unterschrift unter das Gnadengesuch des Bernd Rössner setzte, war der frühere RAF-Täter längst zum Opfer von Justiz und Politik mutiert. Jeder andere Gefangene wäre schon längst wegen Haftunfähigkeit freigekommen.
Fünf Monate waren im April 1975 seit dem Hungertod des RAF-Mitbegründers Holger Meins im Gefängnis vergangen, als ein nach ihm benanntes, sechsköpfiges Untergrundkommando im April 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm überfiel, elf Geiseln nahm und die Freilassung von 26 Gesinnungsgenossen verlangte. Bernd Rössner, damals 29 Jahre alt, war dabei. Die Bundesregierung lehnte den Freipressungsversuch kategorisch ab. Man zeigte sich gnadenlos, ebenso wie das Kommando „Holger Meins“. „Denen mußte mal gezeigt werden“, bekannte später Bundeskanzler Helmut Schmidt, „daß es einen Willen gibt, der stärker ist als ihrer.“ Vier Menschen, zwei Botschaftsangehörige und zwei Mitglieder der RAF, bezahlten dafür mit ihrem Leben.
1977 verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf Rössner und die anderen überlebenden Kommandomitglieder zu „zweimal lebenslänglich“. Insgesamt zehn Jahre saß er in Einzelisolation. Mit sechs Hungerstreiks wollte der Gefangene die Zusammenlegung mit anderen RAF-Inhaftierten erzwingen. Statt besserer Haftbedingungen hinterließen Isolation und Hungerstreiks unübersehbare Spuren: Seit Mitte der achtziger Jahre häuften sich die Meldungen über schwere psychische und physische Erkrankungen des Gefangenen. Antje Vollmer schrieb 1987, nach einem Besuch im Straubinger Gefängnis: „Wenn ich etwas davon verstehe und meinen Augen trauen kann (die Blässe, die Unruhe), dann ist er haftunfähig.“ Es folgten ungezählte Freilassungsinitiativen für Bernd Rössner, unterstützt nicht nur von Sympathisanten der RAF, sondern auch von liberalen Persönlichkeiten.
Am letzten großen Hungerstreik der RAF-Gefangenen im Winter 1988 nahm Rössner selbst nicht mehr teil, seine Freilassung gehörte jedoch zu den Hauptforderungen. Ihre Realisierung scheiterte an der damaligen bayerischen Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner (CSU). Als Anfang 1992 ihr Bonner Amtskollege Klaus Kinkel (FDP) die „vorzeitige Entlassung“ einer Reihe von RAF-Gefangenen anregte, stand Rössner weit oben auf der Liste. Im August 1992 entließ die bayerische Justiz den Kranken für drei Monate in die psychiatrische Abteilung der Justizvollzugsanstalt Kassel. Nach langen Verhandlungen schien die Begnadigung nur noch eine Frage von Tagen.
Doch noch einmal kam es anders: Aufgrund eines Querschusses des Oberlandesgerichts Düsseldorf, das parallel zum Begnadigungsverfahren die „vorzeitige Entlassung“ Rössners prüfte, machte der Bundespräsident einen Rückzieher. Kinkels Nachfolgerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sprang ein und gewährte einen sogenannten „Strafausstand“ von 18 Monaten zum Zwecke der Therapie in einer offenen psychiatrischen Klinik. Diese Zeit läuft genau am 16. Mai ab, an dem Tag also, von dem an Bernd Rössner ein freier Mann sein wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen