piwik no script img

„Entspannt und aufgeschlossen“

■ Letzter Teil der taz-Serie „Hamburg und seine Städtepartnerschaften“ / Die Städtefreundschaft mit St. Petersburg ist nach über 30 Jahren zur Bürgerfreundschaft geworden Von Torsten Schubert

„Vor 30 Jahren war die Welt in St. Petersburg noch in Ordnung“, lacht Gerhard Weber. Der Geschäftsführer des CVJM- Reisedienstes erinnert sich: „Es gab nur gefilterte Kontakte und handverlesene Gesprächspartner.“ Wenn er jetzt in die russische Stadt fliegt, läßt er sich am Flughafen abholen - zur eigenen Sicherheit. Im April hatte er ungefähr 1000 Briefe von Hamburgern an St. Petersburger Freunde dabei – in jedem steckte Geld. „Die Städtefreundschaft ist zur Bürgerfreundschaft geworden“, sagt Gerhard Weber. St. Petersburg hat sich verändert.

1957 strebte das damalige Leningrad nähere Kontakte zu Hamburg an. Bereits im Juni desselben Jahres reiste eine erste Senatsdelegation in die Sowjetunion. „Der Empfang in Leningrad war freundlich, die Atmosphäre entspannt und aufgeschlossen“, heißt es dazu in der Hamburger Städtepartnerschafts-Dokumentation. Allerdings: „Die Lust auf das Kennenlernen war zwar vorhanden, doch die Hürden und Komplikationen der politischen Realität erschwerten vieles. Jeder Austausch bedurfte langwieriger administrativer Vorbereitungen und diplomatischer Unterstützung.“ Henning Jess, damals leitender Beamter in der Senatskanzlei, blickt zurück: „Es wurde nie etwas ausgetauscht, aber bei Tisch gab es immer viel Wodka. Die Leningrader Delegationen machten heimlich Reeperbahnbesuche.“

Heute, so schätzt Gerhard Weber, gibt es Tausende von Privatkontakten zwischen Hamburg und St. Petersburg. Allein im vergangenen Jahr brachte der CVJM-Reisedienst rund 700 Russen zu Hamburger Freunden, die die Flüge auch bezahlten. „80 Prozent der Reisen nach St. Petersburg sind Freundschaftstourismus.“ Eine Folge der Hilfsaktion im Winter 1990/91. Hamburger schickten 400.000 Pakete in die wirtschaftlich angeschlagene Stadt an der Newa. Tausende von St. Petersburgern schrieben Dankesbriefe zurück. „Viele Hamburger unterstützen bis heute ihre St. Petersburger Freunde mit Geld – denn wer Devisen hat, kann dort inzwischen alles kaufen“, sagt Gerhard Weber.

Fast von Anfang an förderten Sportkontakte die Städtefreundschaft. Seit 1977 fahren Hamburger Schülergruppen in die russische Partnerstadt. Mittlerweile dürften mehr als 2000 Schüler im Rahmen von offiziellen Schulreisen und rund 30.000 Jugendliche mit privaten Besuchsgruppen St. Petersburg besucht haben. Doch erst ab Ende der 80er Jahre war es den dortigen Schülern möglich, an die Elbe zu kommen. Heute ist die einzige Reisebeschränkung für St. Petersburger das oft fehlende Geld.

Manchmal gibt es dann unkonventionelle Hilfe. Julia Starikova, Studentin der Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Petersburg, ist seit knapp einem Monat in Hamburg. Die 20jährige ist eine von zehn Studierenden aus Osteuropa, die ein Stipendium des Hamburger Vereins „Copernikus“ bekommen haben - ein Beispiel für praktische Hilfe durch eine gute Idee.

Einer der Organisatoren, der Chemiestudent Alexander Hauschild: „Vor drei Jahren saß ich Weihnachten mit einigen Leuten zusammen, und wir besprachen die Probleme der Welt.“ Es blieb nicht beim Reden; die jungen Leute gründeten „Copernikus“. „Wir haben Gastfamilien gesucht, die bereit sind, Studenten aus Osteuropa kostenlos bei sich wohnen zu lassen.“ Es fanden sich viele. „Die Studenten sind ein halbes Jahr in Hamburg, studieren an der Uni und absolvieren anschließend ein Praktikum in einem Betrieb“, beschreibt Alexander Hauschild das Vereinskonzept. Geld kommt zum Teil von Firmen, und inzwischen wird „Copernikus“ gelegentlich vom Referat Städtepartnerschaften des Senats unterstützt. Leiterin Christl Howaldt: „So etwas wie 'Copernikus' wünsche ich mir für alle Partnerstädte: Junge Menschen, die sich mit äußerster Bescheidenheit großartig engagieren.“

Ganz ohne Probleme ging es anfangs nicht ab. „Zum Beispiel mit dem Telefon“, erzählt Alexander Hauschild. „Wer in St. Petersburg einen Anschluß hat, zahlt für Ortsgespräche, nichts weiter. Also haben die Studenten hier stundenlang Gespräche geführt, als sie erste Kontakte geknüpft hatten.“ Zum Ärger der Gastfamilien. Jetzt werden die neuen Studenten ausführlich über „Hamburger Eigenarten“ informiert.

Julia Starikova genießt ihren einsemestrigen Hamburg-Aufenthalt und das Studium. Im Gegensatz zur St. Petersburger Uni mit ihrem festen, starren Lehrplan findet sie die Hamburger Studienverhältnisse zwar „sehr chaotisch, aber du hast viele Möglichkeiten“. „Es ist für uns sehr schwer, in dieser Zeit zu lernen. Heute können wir nicht wissen, was morgen wird“, fügt sie nachdenklich hinzu. Und die Idee der Städtepartnerschaft? „Es wird bei uns viel darüber gesprochen. St. Petersburg ist stolz auf diese Freundschaft.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen