An der Humboldt-Uni wächst die Enttäuschung

■ Haushaltskürzungen und "Kündigungsaffäre" haben Studierende, Professoren und Mitarbeiter der Humboldt-Universität in ein Stimmungstief gestürzt / Viele Erwartungen haben sich nicht erfüllt...

„Alle dachten, man wäre durch, doch dann kamen düstere Monate.“ So beschreibt der Kunsthistoriker Horst Bredekamp die Stimmungslage an der Humboldt- Universität zu Beginn des Jahres. Den Gedanken, der Umbau der Hochschule könne so schnell abgeschlossen sein, findet Präsidentin Marlis Dürkop dagegen naiv: „Was denken sich die Leute denn, die Idee, das sei alles in einem Jahr erledigt, ist doch absurd.“

Den Studierenden aber geht die Geduld bald aus. Ronald Höhner, studentischer Vertreter im Akademischen Senat, ist „ziemlich frustriert“, die Studentenzeitung UnAufgefordert widmete ihre letzte Ausgabe der Frage „Fällt Humboldt? Keine Konzepte für die Universität“. Darin zeigte sich auch Volker Gerhardt, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Philosophie und einer der zahlreichen neuberufenen Professoren aus dem Westen, deren Namen die Erwartungen an die Linden-Universität hochgeschraubt haben, „zunehmend enttäuscht“. Er habe sich „auf eine geradezu groteske Arbeitssituation eingelassen. Aber gelohnt hat sich die Mühe nicht.“

Der Kunsthistoriker Bredekamp, der vor einem Dreivierteljahr aus Hamburg nach Unter den Linden wechselte, umschreibt es anders: Die Zeit an der Humboldt- Universität sei für die Neuberufenen „das Intensivste, was sie erlebt haben“. Das „Stimmungstief“ sei vor allem durch die Kürzung der Berlinhilfe und die Sparbeschlüsse des Senats verursacht, durch die sich die Professoren hintergangen fühlten: „Bis Ende letzten Jahres war uns gesagt worden, daß die Humboldt-Universität weiter ausgebaut wird.“ Den Zustand der Bibliotheken beschreibt Bredekamp als „katastrophisch“, der Skandinavist Bernd Henningsen als „schlichtweg lächerlich“. Das Geld reicht kaum für die laufenden Neuerwerbungen, die lückenhaften Altbestände können nicht ergänzt werden.

Ähnlich auch die Raumsituation: 50.000 Quadratmeter fehlen der Uni, wirksame Abhilfe wird erst der Umzug der Naturwissenschaftler nach Adlershof schaffen. Doch wird schon jetzt versucht, die Fächer wenigstens zusammenhängend unterzubringen. Dieser „rotierende Umzug“ klemmt indes noch an einigen Nadelöhren, beispielsweise daran, daß die Erziehungswissenschaftler nicht die Kaserne beziehen können.

Nach wie vor fehlt, wie Henningsen bemerkt, „die Routine im laufenden Betrieb“. Am Fachbereich Germanistik werde jetzt „aufgrund sogenannter Versäumnisse reiner Tisch gemacht“. Solange der Personalstrukturplan noch nicht abgesegnet ist, würden unter dem durch die „Kündigungsaffäre“ entstandenen öffentlichen Druck Mitarbeiter auf die Straße gesetzt, die eigentlich in einem anderen Beschäftigungsverhältnis bleiben sollten und „die wir brauchen“.

Wissenschafts-Staatssekretär Erich Thies sieht jedoch nach wie vor das Hauptproblem der Humboldt-Universität darin, daß sich die Kündigungsfristen von 178 wissenschaftlichen Mitarbeitern um maximal drei Monate verlängert haben, weil die Uni-Verwaltung sie nicht bis zum 31. Dezember vergangenen Jahres gekündigt hatte: „Das dadurch entstandene Ausmaß an Unsicherheit macht es sehr schwer, der Humboldt-Universität zu helfen.“ Marlis Dürkop wehrt sich jedoch dagegen, „daß die Kündigungen immer nur als formaler Akt gesehen werden“.

Auch die verbreitete Krisenstimmung teilt sie nicht. Inzwischen gebe es bei 500 Professuren bereits 380 Rufannahmen, damit sei eine „Stabilisierung eingetreten“. Daß M. Rainer Lepsius, einer der renommiertesten deutschen Soziologen, dieses Semester nicht als Gastprofessor lehren kann, weil die Verwaltung die Unterlagen nicht rechtzeitig bearbeitete, nimmt sie gelassen: „Solche Pannen passieren eben bei uns.“

Auch die Kritiker verbreiten wieder Optimismus. Gerhardt sieht „das eigentliche Tief überwunden“, Bredekamp meint, „daß der Universität ein neuer Anlauf gelingt“. Vor allem die fächerübergreifende Zusammenarbeit hebt er hervor, Henningsen verweist auf das geplante Nordeuropa-Institut.

Die Studierenden sind damit noch nicht zufrieden. Sie bemängeln die zum Teil chaotische Studienorganisation, die nach ihrer Ansicht nur ein Symptom des niedrigen Stellenwerts der Lehre ist. Bei Berufungen stehe, wie überall, die Forschung im Mittelpunkt, die Uni-Leitung setze sich nicht für die Studierenden ein, meint Ronald Höhner. Die Präsidentin dagegen beteuert, sich in nächster Zeit auf „die interne Stabilisierung des Lehrbetriebs“ konzentrieren zu wollen.

Wahrscheinlich werden Studierende und Lehrende, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen, an Deutschlands spannendster Universität wie Bredekamp noch lange einem „Wechselbad zwischen manisch-depressiven Phasen und der Freude über das Erreichte“ ausgesetzt sein. Ralph Bollmann