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Baltisches Mafia-Marketing: Prügel für den Pressechef

■ Wie sich die Unterwelt eine „gute Presse“ erpreßt

Riga (taz) – „Vielen Vertretern des organisierten Verbrechens kommt es sehr darauf an, wenigstens einen Teil jenes Geldes zu legalisieren, das sie in den Jahren der fehlenden Kontrolle erwirtschaftet haben.“ Dieser Gedanke des lettischen Anwalts Egons Rusanovs in einem Round-table-Gespräch über Organisierte Kriminalität im Baltikum kann als Erklärung für eine neue Entwicklung in diesem Bereich dienen: Immer häufiger versucht die Mafia, in „normale“ Geschäfte einzusteigen. Dabei erpreßt sie das Wohlwollen der Presse, denn in den letzten Jahren waren es gerade Journalisten – und nicht etwa die völlig unzureichend ausgestatteten Sicherheitskräfte – denen es gelang, Licht in die Strukturen der Unterwelt zu bringen.

So wurde Anfang Januar ein Reporter der lettischen Tageszeitung Diena überfallen und verprügelt. Auslöser waren seine Nachforschungen über einen Geschäftsmann, der nicht nur Gelder von Anlegern veruntreut haben soll, sondern auch mit einem Mord in Verbindung gebracht wird.

Im litauischen Vilnius wurde am 12. Oktober letzten Jahres der stellvertretende Chefredakteur der Tageszeitung Respublika, Vitas Lingys, auf offener Straße von maskierten Männern mit drei Kopfschüssen regelrecht hingerichtet. Lingys hatte insbesondere zum organisierten Verbrechen recherchiert. Bezeichnenderweise reagierten die Strafverfolgungsbehörden mit Empörung, als Respublika postwendend die mutmaßlichen Mörder und deren Hintermänner benannte – auch wenn es dieselben Männer sind, die demnächst vor Gericht stehen werden.

Der Anlaß für den Mord an Lingys dürfte die Weigerung des Blattes sein, wohlwollend über die Aktivitäten der Unterweltler zu berichten, die sich mittlerweile durchaus respektable Adressen zugelegt haben – in Vilnius etwa die Bank Centurions. In Lettland wiederum gilt es als offenes Geheimnis, daß sich im Schatten des Konzerns Pardaugava eine der beiden großen Mafia-Gruppierungen des Landes angesiedelt hat. Recherchen westlicher Journalisten zufolge soll von hier aus mit rotem Quecksilber und spaltbaren Materialien gehandelt worden sein.

Bei den Bemühungen, sich zu „legalisieren“, entwickelte die Mafia auch ihre eigenen „Marketing- “Vorstellungen, in Lettland wurden diese Ende März zunächst dem Rigaer Wirtschaftsblatt Dienas bizness präsentiert. Als Gegenleistung für kostenlose Anzeigen und einen wohlwollenden Artikel stellte eine vorgebliche Bauartikel-GmbH „Schutz“ in Aussicht, „den wir aber nicht so bezeichnen möchten“. Die Gesellschafterliste der betreffenden GmbH liest sich freilich wie das „Who's who“ einer der großen „Clans“ der Rigaer Mafia.

Der Verlag von Dienas bizness lehnte dieses Marketing-Angebot ab. Vorstandsmitglied Arvils Aseradens: „Um des sogenannten lieben Friedens willen würden uns die 100 qm Anzeigenfläche oder der gewünschte wohlwollende Artikel ja nicht wehtun. Aber denen geht es um mehr, nämlich darum, den Fuß in die Tür zu kriegen. Schaffen es die Erpresser in diesem Fall, gibt es danach keinen Halt mehr. Dann bekommt die Unterwelt die vierte Macht in ihren Griff.“ In seinem Haus erscheint auch die Tageszeitung Diena, die den Fall in allen Einzelheiten publik machte, wobei auch der Name des Konzerns „Pardaugava“ fiel.

Was der Konzernchef natürlich nicht auf sich sitzen ließ. In einem Leserbrief weist er die Beschuldigungen zurück, schließlich verfüge Pardaugava „über stabile internationale Beziehungen in der Geschäftswelt“ und fordert eine Entschuldigung durch die Zeitung. Andernfalls behalte man sich vor, für Diena „ein ungünstiges wirtschaftliches Klima zu schaffen“ – was immer das sein mag.

Weniger kämpferisch als die Kollegen von Diena zeigte sich indes der Chefredakteur von Dienas bizness, Juris Paiders. In seinem Blatt findet sich zu dem ganzen Erpressungsversuch nur eine dürre Mitteilung in eigener Sache: „In Zusammenhang mit Veröffentlichungen diverser Zeitungen, in denen mein Familenname genannt worden ist, möchte ich die Leser informieren, daß ich Unannehmlichkeiten hatte, doch verfüge ich über keine Beweise, um diese mit einer konkreten Person in Verbindung zu bringen.“ Wie später bekannt wurde, war nach dem vergeblichen Marketing-Angebot Paidars Frau mit einem Messer bedroht worden. Auch mag ihm wohl vor Augen gestanden haben, daß im Rigaer Pressehaus nahezu alle Redaktionen auf ähnliche Erpressungen eingangen sind. Dagegen wurde der Direktor der Tageszeitung Labrit, Andris Mukans, der das böse Spiel nicht mitmachen wollte, in aller Öffentlichkeit verprügelt, wenig später „übernahm“ die Mafia den Dienstwagen seines Chefredakteurs.

Ojars J. Rozitis

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