: „Die Gespächspartner gehen flöten“
■ Mirjana Markovic, Vorsitzende des Bundes Deutscher Architekten, zum Architektursommer und Bauen in Hamburg
taz: Hat die Architektur heutzutage einen derart schlechten Ruf, daß sie eine Werbeveranstaltung wie den Hamburger Architektursommer braucht?
Markovic: Nein, wir haben diese Veranstaltung nicht mit dem Rücken an der Wand geplant. Sie ist ein Impuls aus der Architektenschaft, die darüber reden möchte, welche Werte für das Leben der Menschen in der gebauten Welt bedeutsam sind. Außerdem ist der Architektursommer auch der Rest einer alten Idee des BDA, in Hamburg ein Jahr der Baukultur zu veranstalten.
Die Architekten wollen also mehr mit den Bürgern in Kontakt treten?
Ja, die Zeit der Bauherren geht zu Ende und dadurch verlieren wir Architekten den Gesprächspartner, der die Interessen derjenigen vertritt, die in den Städten und Häusern leben. Die Bauherren von früher waren entweder Selbstnutzer oder hatten eine Zielgruppe und daher Qualitätsbewußtsein. Sie waren auch immer Vertreter einer bestimmten Schicht, wie Schumacher beispielsweise das Anliegen der Arbeiterschicht vertrat. Das geht heute allmählich flöten.
Gilt das auch für Hamburg?
Hamburg ist eine der letzten Städte, in der der Bauboom noch von der eigenen Wirtschaftskraft getragen ist und es noch personifizierte Bauherren gibt, mit denen man auch über Ziele reden kann. Aber wir sind jetzt an einer Wende, an der vagabundierendes Weltkapital immer häufiger zum Bauherren wird. Wirtschaftszweige, die sich mit gebauter Substanz als Geldanlage befassen. Sie haben weder ein Verhältnis zur Stadt noch zu Häusern, sie sind auch nicht an Bauprogrammen interessiert. Ihr Interesse gilt nur der Geldbewegung, nicht dem Qualitätsgedanken.
Die Verknüpfung zu den Nutzern ist wichtig
Was sind die Folgen?
Uns droht, daß wir sämtliche Gesprächspartner verlieren, Bauherren, Politiker, die sich nur um die nächste Wahl kümmern, und auch die Nutzer. Wir sehen diese Veränderung mit großer Sorge. Dies ist ein wesentlicher Hintergrund für den Architektursommer.
Wenn die Wirtschaft als Identitätsstifter für die Architektur wegfällt, müssen Sie sich nicht stärker in die Stadtplanung einbringen?
Die Verknüpfung zu den Nutzern ist wichtiger. Sehen Sie, jeder Schüler lernt heute etwas über Klavierkonzerte oder Bildhauerei. Aber er weiß überhaupt nichts von Häusern, von Städten, von Stadtgrundrissen, er kann manchmal nicht einmal einen Stadtplan lesen. In diesem Punkt herrscht in der Bildung eine totale Vernachlässigung. Oder ein anderer Punkt: Immer mehr Menschen werden heute in nicht sozial-funktional diffenzierten Bürohäusern krank, aber man baut weiter Mittelflur und Arbeitsräume links und rechts. Dem Architekten fehlt der Kontakt zum Bauherren – wem soll er erzählen, was die Nutzer wirklich brauchen? Und der Mensch, der in diesem Bürohaus arbeitet, er weiß auch nicht, daß er auch was ganz anderes haben könnte.
Der Architekt als Sinngeber für ein ideelles Defizit?
Ich glaube, daß es ohne diese Rolle auf lange Sicht nicht gehen wird.
Und die Politik?
Der BDA war einer der Anstifter für die Runden Tische in der Stadtplanung. Auch wenn an ihnen vieles zu kritisieren ist, ist damit jedenfalls ein Anfang gemacht worden. Wir haben in Hamburg erreicht, daß Architekten mit Politikern reden, und Politiker haben allmählich gelernt, daß sie mit Architekten reden sollen. Das gilt auf jeden Fall für die Stadtentwicklungsbehörde.
Politiker müssen mit Architekten reden
Deutliche politische Aussagen fehlen aber im Programm.
Die werden aber sicher bei den Diskussionen auftauchen. Das Programm zeigt eher eine Gegenbewegung zur derzeitigen Simplifizierungsdiskussion in der Architektur, dieser angeblichen Einfachheit, die aber in Wirklichkeit Banalität als einziges Modell des Bauens proklamiert. Wir wollen Hamburgs Pluralität zeigen und versuchen, neue Wege zu orten.
So bunt ist die Architektur in Hamburg aber ja gar nicht. Hier herrscht doch überwiegend die nautische Thematik und die des roten Klinkers.
Das ist doch gut! Wir haben eine sehr schöne Stadt, auch wenn sie große Schattenseiten hat. Es ist doch legitim, daß sie ein Grundgesicht hat, sogar wünschenswert; hier zeigt sich gelebte Demokratie. Es gibt natürlich Hamburger Architekten, die der Stadt einen Stempel aufgedrückt haben, aber einen, den sie aus dem Leben der Stadt entwickelt haben. Das kommt uns heute allerdings abhanden. Heute haben die Veränderungen in der Stadt nichts mehr mit den Veränderungen im Leben zu tun, sondern mit denen der globalen Weltwirtschaft, die sich über Hamburg stülpt.
Werden vom Architektursommer Impulse für neue Stilrichtungen zu erwarten sein?
Nehmen wir Hammerbrook: Ich könnte nicht sagen, wie es zu retten wäre. Dieses Problem löst bestimmt kein Architektursommer und das ist auch keine Frage des Stils. Hier muß die Stadt politisch definieren, was mit dem Thema Parzelle geschehen soll. Wenn sie einen Block für 100.000 Quadratmeter Geschoßfläche daraus macht, kann es hier keine Identi-tätsarchitektur geben.
Werden architektonische Visonen beim Architektursommer eine Rolle spielen?
Nicht global für Hamburg. Wir wollen uns in verschiedenen Bereichen, beispielsweise dem Wohnungsbau, über mögliche Wege unterhalten. Ich denke, es wird kein Gesamtergebnis geben, das kann auch nicht gewollt sein. Stil kann nicht losgelöst vom Entstehen der Gebäude und der Stadt diskutiert werden.
Den Keim für einen Dialog wecken
Wann würden Sie den Architektursommer als einen Erfolg bezeichnen?
Wenn es gelänge, bei Bürgern und Politikern einen Keim der Bewußtseinsentwicklung zu wecken. Ohne Dialog und ohne Bedürfnisanmeldung der Bürger können und dürfen Politiker keine neuen Wege in der Stadtentwicklung formulieren. Den Weg der Beschränkung auf die Parzelle und die Findung eines verantwortungsvollen Bauherren im Hinblick auf ein höheres Ziel wird die Politik aber nur mit Druck der Bevölkerung einschlagen. Wenn der Architektursommer diesen Keim legen würde, das wäre mein Traum.
Fragen: Till Briegleb und Sannah Koch
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