: Ein Bankier für Palästina
Unter der Leitung von Suheil Gedeon hat kürzlich die erste palästinensische Bank in den israelisch besetzten Gebieten ihre Tore geöffnet ■ Aus Tunis James Dorsey
Der 38jährige Unternehmer Suheil Gedeon, Absolvent an der University of California, wird wahrscheinlich Palästinas erster Zentralbankier. Seine „Palästinensische Handelsbank“ hat kürzlich mit Zweigstellen in Gaza, Jericho und Ramallah ihre Arbeit in den israelisch besetzten Gebieten und vor allem im Teilautonomiegebiet, aufgenommen. Gedeon, enger Mitarbeiter des PLO-Vorsitzenden Jassir Arafat, sieht in der Bank den Keim einer Zentralbank für den noch zu errichtenden Staat Palästina. Als Leiter der Palästinensischen Handelsbank und höchster Bankier dient Gedeon sowohl der chronisch illiquiden PLO als auch der Palästinensischen Nationalbehörde (PNA), die demnächst ihr Amt in den palästinensischen Teilautonomiegebieten Gaza-Streifen und Jericho antreten wird.
„Es ist die erste palästinensische Bank, die je unter palästinensischer Herrschaft gegründet wurde“, sagt er voller Stolz. Das Projekt Palästinensische Handelsbank ist ein Teil von Arafats Strategie, die Grenzen der beiden Abkommen mit Israel – des Osloer Grundlagen- und des Teilautonomievertrages – auszutesten. Geht es nach ihm, wird in den besetzten Gebiete, denen Israel jetzt grundsätzlich die teilweise Autonomie zugestanden hat, Schritt für Schritt ein unabhängiger palästinensischer Staat entstehen. Anscheinend gestaltet Arafat seine Politik am Modell der zionistischen Bewegung vor Errichtung des jüdischen Staates sowie Israels späterer Politik des Faktenschaffens.
Gedeons Bank hat gute Geschäfte zu erwarten. Die Weltbank, die Europäische Gemeinschaft und einzelne westliche Nationen haben zwischen zwei und drei Milliarden Dollar Hilfe für die Entwicklung des palästinensischen Staatsgebildes zugesagt, seit am 19. September das Osloer Grundlagenabkommen zwischen Israel und der PLO geschlossen wurde. „Die Bank wird die Staatsbank werden. Wir sind die Bank, über die alle Mittel laufen werden“, erklärt Gedeon in einer Pause zwischen Geschäftsreisen nach Europa, die er in Tunis einlegt. Er ist fast immer unterwegs, mal, um im Auftrag von Arafat über Investitionen und Finanzierungszusagen für das palästinensische Autonomiegebiet zu verhandeln, mal, um den PLO-Führer auf einem seiner zahlreichen offiziellen Besuche zu begleiten. Nach Auskunft palästinensischer Politiker wird ein von Arafat geleitetes neugeschaffenes „Palästinensisches Institut für Entwicklung und Wiederaufbau“ mit Sitz in Jericho die Hilfsmittel offiziell in Empfang nehmen und sie an Gedeons Bank weiterleiten.
Arafats und Gedeons Bankpläne fußen auf der Überzeugung, daß der israelisch-palästinensische Friedensprozeß innerhalb von fünf Jahren die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates auf den früher von Israel besetzten Gebieten nach sich ziehen wird. Sie setzen ihre Hoffnungen auch auf die Freigabe des heutigen Gegenwerts von 29 Millionen Pfund Sterling durch die Bank von England; diese Gelder waren 1948 eingefroren worden, als die Palästinenser im Gegensatz zu den Juden eine UN-Resolution zur Teilung Palästinas und zur Gründung eines jüdischen und eines palästinensischen Staates in dem damaligen britischen Mandatsgebiet ablehnten.
Gedeons Büro wird mit Fax- Anfragen europäischer und amerikanischer Firmen überschwemmt, die neue Chancen in den Gebieten ausnutzen wollen, aus denen sich Israel jetzt teilweise zurückzieht. Seine Interessen reichen vom Bankwesen über die Telekommunikation bis zur Verbesserung seiner Milchfarm. Als er sich vor über zwei Jahren bei Israels Zentralbank um eine Lizenz für seine Palästinensische Handelsbank bewarb, hatte er nur eine kleine Handelsbank mit einem Gründungskapital von 7,5 Millionen Dollar im Sinn.
In nächtelangen Diskussionen überzeugte Arafat seinen Schützling dann, in größeren Dimensionen zu denken. Heute verfügt die Palästinensische Handelsbank über ein eingezahltes Kapital von mindestens 20 Millionen Dollar, das ausschließlich von Investoren in den israelisch besetzten Gebieten kommt. Innerhalb von 24 Monaten hofft Gedeon das Kapital auf 50 Millionen Dollar zu erhöhen, um die einkommenden Mittel für größere Infrastrukturprojekte absorbieren zu können, eingeschlossen ein Hafen und ein Flughafen in Gaza, ein neues Telefonnetz sowie fast 200.000 Wohneinheiten. Nun, kurz nach Eröffnung der Bank, drängt Arafat bereits auf Eröffnung von Zweigstellen in London und New York.
Israel, Jordanien und die PLO sind übereingekommen, weiterhin den israelischen Schekel und den jordanischen Dinar als Zahlungsmittel in den palästinensisch kontrollierten Gebieten zu benutzen. Der Entwurf zu einem jordanisch- palästinensischen Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit sieht einen gemeinsamen Finanz- und Währungsausschuß vor, der Währungs- und Wechselfragen sowie die Zulassung neuer Banken und Finanzinstitutionen überwachen soll, bis die Palästinenser an die Stelle der jordanischen Zentralbank eine eigene setzen können.
Es ist noch nicht lange her, daß sich Gedeon und Arafat auch Gedanken über die Frage machten, wie man israelische Einwände gegen die Einführung einer palästinensischen Währung beschwichtigen könne, ohne diese Vorstellung ganz aufzugeben. Sie dachten an eine Übergangsweise Rechnung in einer fiktiven Währung, dem europäischen Ecu vergleichbar. Nach Gedeons Vorschlag hätten die palästinensischen Behörden etwa in Guinee kalkulieren können, der palästinensischen Währung vor Errichtung des jüdischen Staates im Jahre 1948, Zahlungen jedoch in jeder gewünschten Währung entgegennehmen sollen.
Die palästinensische Identität ist ein treibendes Moment in allen Diskussionen, so auch in der Geldpolitik und bei allen übrigen wirtschaftlichen Entscheidungen. Manchmal müßten die ökonomische Erwägungen eben hinter dem psychologischen Imperativ zurückstehen, geben die Palästinenser zu. „Wir müssen für unsere Identität Opfer bringen. Ich will nicht von Israel abhängig bleiben“, erklärt Gedeon.
Jussuf Sayegh, ein prominenter palästinensischer Ökonom mit Einfluß in der internationalen Finanzgemeinschaft, meint, daß sogar die Weltbank da Widersprüche duldet — zwischen kurzfristigen Investitionen und den derzeit auf 1,4 Milliarden Dollar geschätzten Bedürfnissen der Westbank und des Gaza-Streifens einerseits und andererseits der Notwendigkeit, zunächst Institutionen zu gründen, technische Hilfe zu liefern und sich auf die Ablösung von 27 Jahren israelischer Besatzung vorzubereiten.
Sayegh, der Arafat wegen dessen autokratischen Stils kritisiert und aus Protest gegen die mangelnde Transparenz und Verantwortlichkeit der PLO nach Beirut zurückkehrte, war schon direkt nach Abschluß des Osloer Abkommens im Herbst letzten Jahres der Meinung, daß die Wirtschaftspolitik zu schnell umgesetzt wird und Israel einen Vorwand liefern könnte, seinen Rückzug aus den besetzten Gebieten schließlich zu verzögern. „Aus palästinensischer Sicht ist keine Alternative angenehm“, sagt er. „Betrachten wir das Beispiel der Energieerzeugung“, sagt er. Die nationale Identität erfordere, daß die neuen Kraftwerke für die besetzten Gebiete sehr schnell fertiggestellt würden, selbst wenn sich daraus höhere Elektrizitätskosten ergäben. Gedeon, der Mitte der 80er Jahre daran beteiligt war, 13 Millionen Dollar der PLO in die Elektrizitätsgesellschaft von Jerusalem zu leiten, um eine israelische Mehrheit zu verhindern, räumt durchaus ein, daß das palästinensische Staatsgebilde wirtschaftlich gesehen besser warten würde, bis es sich an den geplanten gemeinsamen Anlagen von Syrien, Jordanien und Ägypten beteiligen könne. „Das Problem ist jedoch die Identität. Identität in der Ablösung vom israelischen System. Was verschwenden wir denn schon? 50 Millionen Dollar? Aber wir bauen eine Nation“, sagt Gedeon. Riesige Infrastrukturprojekte, unter ihnen die 185.000 Wohneinheiten, der schwimmende Hafen in Gaza und der Flughafen zu beiden Seiten der Grenze des Gaza-Streifens zu Ägypten sollen ebenfalls die Ziele der PLO fördern.
Die Palästinenser sehen ihre wirtschaftlichen Chancen als entstehende Nation darin, daß sie an dem kürzesten und besten Weg zwischen Europa und dem Nahen Osten leben. Der Suezkanal als Schiffahrtsweg von und aus der arabischen Welt könnte bald an Bedeutung verlieren.
Das Hafenprojekt, dessen Realisierung auf drei Jahre veranschlagt ist, soll wahrscheinlich von französischen, italienischen und holländischen Firmen übernommen werden. Es ist „der Schlüssel zur Wirtschaft des palästinensischen Staates“, sagt ein Mitglied des PLO-Wirtschaftsrates für Entwicklung und Wiederaufbau.
AT&T bemüht sich zusammen mit Integrated Telekom International (ITI), Motorola und Alcatel, mit der PLO einen Vertrag über die Einrichtung des Telekommunikationsnetzes des palästinensischen Staatsgebildes abzuschließen. Inzwischen plant Gedeon bereits ein System von Telefonzellen für 100 Millionen Dollar für die Millionen Araber, die als Besucher der moslemischen heiligen Stätten in Jerusalem erwartet werden. Der Bankier schließt sich einer verbreiteten moslemischen Überzeugung an, wenn er sagt: „Man kann zwanzigmal auf den Hadsch gehen [die moslemische Pilgerfahrt nach Mekka – d. Red.]), aber in den Himmel kommt man nur, wenn man in Jerusalem war.“
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