: „Berauschende“ Logik
■ betr.: „Bundesverfassungsgericht: Feuer frei für den Joint“, taz vom 29.4.94
Zeitweiliges Auto- oder Motorradfahren darf künftig legal genossen werden. Das BVG in Karlsruhe entschied in einem gestern veröffentlichten Urteil, daß die Behörden von Strafverfolgung absehen müssen, wenn Automobile nur auf kurzen Strecken und zum gelegentlichen Eigengebrauch erworben, eingeführt und besessen werden und wenn eine Fremdgefährdung nicht eingetreten ist. Demnach ist die Verwendung eines Autos auch nur dort straffrei, wo sich weder FahrradfahrerInnen noch FußgängerInnen aufhalten. Gleichwohl ist der Erwerb und Gebrauch von Automobilen, wie im Straßenverkehrsgesetz festgeschrieben, grundsätzlich weiter strafbar. Die RichterInnen verpflichteten in ihrer Entscheidung die Länder dazu, einheitliche Grundsätze dafür aufzustellen, wenn Erwerb und Besitz eines Autos zum Eigengebrauch nicht strafrechtlich verfolgt werden. Während die jetzt festgelegte Straffreiheit vor allem in CDU/CSU-regierten Bundesländern schon praktiziert wird, sieht der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) in dem Urteil ein „falsches Signal“. Der Zugriff auf die „hinterlistige Waffe Auto“ werde erleichtert.
Nach Auffassung des BVG sind die von Automobilen ausgehenden Gefahren durch ABS und Airbag heute zwar geringer, als der Gesetzgeber dies bei Verabschiedung des Gesetzes angenommen habe. Sie seien aber immer noch so beträchtlich, daß die Konzeption des Straßenverkehrsgesetzes verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit stoße hier an eine Grenze. Weder lasse sich aus diesem Grundrecht ein „Recht auf Geschwindigkeitsrausch“ ableiten, noch falle der Umgang mit Autos unter das Persönlichkeitsrecht. Einwände, der Gesetzgeber verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn er die wesentlich gefährlicheren Automobile mit mindestens 120 PS und 13 Liter Verbrauch erlaube, Kleinwagen hingegen unter Strafe stellt, wies das BVG zurück. Oberklassewagen seien kein Geschwindigkeitsrauschmittel, sondern lediglich Prestigeobjekte. Die berauschende Wirkung dieser bis zu 230 km/h schnellen Fahrzeuge werde „durch Radarkontrollen und Tempo-30-Zonen“ überwiegend vermieden. Zudem könne der Gesetzgeber den Gebrauch von Oberklassewagen „wegen der Finanzkraft ihrer Besitzer nicht effektiv unterbinden.“
[...] Es ist erschreckend, daß JuristInnen mit solch „berauschender“ Logik über unsere Verfassung, Grundlage der Freiheit für 80 Millionen Menschen, urteilen. Heiko Gabriel, Bardowich
Als unmittelbar Betroffener bin ich es nunmehr leid, die unsäglichen Berichte und Artikel in den verschiedensten Medien unwidersprochen hinzunehmen. Es mag richtig sein, daß das BVG in seinem Urteil nichts wesentlich Neues verkündet, insofern also nur gängige Praxis beim Namen genannt hat. Unabhängig davon erwarte ich aber von Politikern und Journalisten, daß sie sich zuerst mit einem Thema halbwegs beschäftigen, und danach erst ihre Meinung veröffentlichen. Durchgehender Tenor ist nämlich meist immer noch, daß alle Drogen in einen Topf geworfen werden, daß beispielsweise in einem Artikel speziell über „weiche“ Drogen immer wieder die Sprache auf Spritzen, Junkies, Entzug und sonstiges kommt..., von der „Einstiegsdroge“ ganz zu schweigen.
Um was es wirklich gehen müßte, kommt aber in den wenigsten Fällen zur Sprache: Durch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen ist heute zweifelsfrei erwiesen, daß Marihuana und Haschisch weit weniger gesundheitsschädlich ist als zum Beispiel Alkohol oder Nikotin. Allein in Deutschland gibt es jährlich zirka 50.000 Alkoholtote, Haschischtote sind dagegen unbekannt. [...]
In diesem Sinne fordere ich alle Verantwortlichen auf, dafür zu sorgen,daß Millionen von Bundesbürgern nicht künstlich kriminell gemacht werden... Oder kann sich jemand vorstellen, daß jeder Bierfahrer als Dealer verhaftet würde? Gesundheitspolitisch gesehen, hätte unsere Obrigkeit zu diesem Schritt viel mehr Grund, als harmlosen Kiffern nachzustellen und denen das Leben oder die Zukunft schwerzumachen. Raimund Seitz, München
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen