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Der Bruderkrieg in Irakisch-Kurdistan eskaliert

■ Deutsches Verbindungsbüro geschlossen / Iran und Irak greifen in die Kämpfe ein

Berlin (taz) – Das deutsche Verbindungsbüro in Irakisch-Kurdistan ist dicht. Entnervt schloß am Mittwoch Eberhard Walde, Vertreter des Arbeiter-Samariter- Bundes und inoffizieller Diplomat der Bundesregierung in dem de facto unabhängigen Nordteil Iraks, seine Niederlassung. Waldes Arbeitsplatz in Schaqlawa war buchstäblich zwischen die Fronten geraten. Seit Anfang des Monats beschießen sich in der Region rivalisierende Kurdengruppen. Die Kämpfe sollen bisher 2.000 Opfer gefordert haben. Am Mittwoch stürmten bewaffnete Kurden Waldes Büro, verhafteten drei kurdische Mitarbeiter und plünderten die Einrichtung. Der ehemalige Bundesgeschäftsführer der Grünen floh in die an der Grenze zur Türkei gelegene Stadt Sacho.

Die Kämpfe zwischen den rivalisierenden Parteien „Patriotische Union Kurdistans“ (PUK) und „Kurdische Demokratische Partei“ (KDP) begannen vor gut zwei Wochen in der Region Pishder an der Grenze zum Iran und weiteten sich anschließend auf große Teile des seit Ende des zweiten Golfkriegs im Frühjahr 1991 von Kurden kontrollierten Gebiets aus. Nach Angaben der Hilfsorganisation medico international griffen auch die von Iran und Saudi-Arabien unterstützte „Islamische Bewegung Kurdistans“ und rund 1.000 iranische Pasdaran in die Kämpfe ein. Die im Südzipfel des kurdisch kontrollierten Gebiets gelegene Großstadt Suleymania ist seit zehn Tagen von der Lebensmittelversorgung abgeschnitten. UN-Mitarbeiter vor Ort befürchten Flüchtlingsströme. Auslöser für die Kämpfe war ein seit den siebziger Jahren bestehender Streit in der Region Pishder. Damals hatte KDP-Gründer Mullah Mustafa Barsani zwei seiner Vertrauten als Regionalverwalter eingesetzt. Die Peshmergaführer beherrschten die Gegend nach Lehensherrenmanier. Bauern wurden enteignet, wer protestierte, wurde eingekerkert. Im Rahmen der „Anfal-Kampagne“ – des von der irakischen Führung zwischen 1988 und 1989 durchgeführten Massenmords an bis zu 100.000 KurdInnen – wurde die gesamte Region Pishder entvölkert. Nach dem erfolgreichen Aufstand der KurdInnen gegen die irakische Zentralgewalt in Frühjahr 1991 kehrten etliche der früher dort lebenden Bauern zurück. Mittlerweile erheben aber Angehörige der beiden ehemaligen Barsani- Statthalter Ansprüche auf das Gebiet. Vor Beginn der Kämpfe rückte ein Sohn einer der beiden Peshmergaführer mit schweren Baumaschinen an und forderte die Bauern auf, ihre Häuser zu verlassen. Während der Streitigkeiten fielen die ersten Schüsse. Zurück blieben mehrere Leichen, darunter die zweier hochrangiger PUK- Funktionäre. Als bei der anschließenden Erstürmung von KDP-Büros auch ein Mitglied des Barsani- Clans getötet wurde, eskalierte der Konflikt zum Krieg.

Die im Mai 1992 gewählte kurdische Regierung appellierte zunächst vergeblich an beide Seiten, die Kämpfe einzustellen. Offiziell bilden die sich jetzt beschießenden Peshmerga eine Armee. Ministerpräsident Kosret Rassul Ali (PUK) und sein Stellvertreter Rosch Schawais (KDP) bemühten sich gemeinsam, zu vermitteln. Seit einem am Montag ausgehandelten Waffenstillstand versuchen Mitglieder des „Irakischen Nationalkongresses“, einer 1992 gegründeten gesamtirakischen Oppositionsgruppe, an Checkpoints eine weitere Eskalation zu verhindern; wie der Überfall auf das deutsche Verbindungsbüro zeigt, mit nur mäßigem Erfolg.

Unterdessen nutzt die irakische Führung die Gunst der Stunde, um die abtrünnigen Kurden weiter zu schwächen. Irakische Soldaten beschießen seit zwei Tagen die an der irakisch-kurdischen Demarkationslinie gelegene Stadt Kifri mit Granaten. Saddam Husseins Feldherren haben seit Wochen Truppen entlang der inoffiziellen Grenze aufmarschieren lassen. Bagdads Vizepräsident Taher Jassin Ramadan kündigte unlängst an, Iraks „geliebter Norden“ werde „sehr bald zum Mutterland zurückkehren“. Thomas Dreger

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