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Neue bunte Scheine – doppelte Inflation

■ Brasilien will die galoppierende Inflation mit neuer Währung bekämpfen

Rio de Janeiro (taz) – Skepsis und Zurückhaltung. Nach vierzehn gescheiterten Anti-Inflationsprogrammen innerhalb von fünfzehn Jahren hat die Mehrheit der Brasilianer die Ankündigung einer erneuten Währungsreform zu Beginn der Woche gleichgültig zur Kenntnis genommen. Vom 1. Juli an soll die bisherige, inflationäre Landeswährung „Cruzeiro“ durch den stabilen „Real“ ersetzt werden.

Die Vorbereitung auf die Währungsumstellung begann bereits im März dieses Jahres, als Brasiliens damaliger Wirtschaftsminister Fernando Henrique Cardoso den Index „Unidade Real do Valor“, kurz URV, einführte. Durch die Einheit URV sollten Löhne, Gehälter, Preise, Mieten, Renten und sonstige Geschäftsverträge täglich an die galoppierende Inflation von monatlich vierzig Prozent angeglichen werden, der URV müßte also stabil sein.

Vor der Umwandlung des Indexes URV in eine harte Währung, so betonte Cardoso damals, müsse jedoch die Hauptursache der Inflation, das brasilianische Haushaltsdefizit, beseitigt werden. Dazu seien Privatisierungen sowie eine Verfassungsreform notwendig.

Börsen glauben der Regierung nicht

Privatisierungsprogramm und Verfassungsreform, bei denen es um einen Lastenausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geht, kamen nicht voran. Entsprechend skeptisch reagierte die brasilianische Finanzwelt auf die Ankündigung von Cardosos Nachfolger im Wirtschaftsministerium, Rubens Ricupero, den Real doch einzuführen. Die Kurse an den Börsen in Rio und São Paulo verloren bis zu sechs Prozent.

Auch für Gustavo Loyola, Ex- Präsident der brasilianischen Zentralbank, läßt der Plan von Ex- Wirtschaftsminister Cardoso zu viele Fragen offen. Bis jetzt, so Loyola, sei nicht klar, ob die neue Währung an den US-Dollar gekoppelt werde wie in Argentinen und wie die unvermeidliche Verteuerung der Exportprodukte aufgefangen werden soll. Außerdem habe die Regierung bis jetzt verschwiegen, wie sie die defizitären Bundes- und Landesbanken sanieren wolle, die ohne Inflation keine schwarzen Zahlen schrieben. „Der Markt geht zunehmend davon aus, daß es sich bei dem Anti-Inflationsprogramm um einen vorübergehenden Stabilisierungsplan bis zu den Wahlen handelt“, meint Claudio Haddad, Vorsitzender der „Banco Garantia“.

Auch die Brasilianer auf der Straße sind äußerst skeptisch, daß der Stabilisierungsplan ausgerechnet fünf Monate vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 3. Oktober erfolgreich umgesetzt werden kann. Bis jetzt scheiterten alle Wirtschaftspläne am politischen Widerstand, also genau dann, wenn es daranging, Ausgaben zu kürzen. Statt Abstriche zu machen, um das Loch im Haushalt zu stopfen, zog es die brasilianische Regierung bisher vor, die Notenpresse anzuwerfen. Während des Wahlkampfes ist die Neigung, die Wähler mit Aufmerksamkeiten zu erobern, bekanntlich besonders ausgeprägt.

„Fernando Henrique hat einen Rekord aufgestellt. Er schuf zwei Inflationen auf einmal“, spottet die Zeitung Jornal do Brasil. Während Cardosos Amtszeit (Juni 1993 bis April 1994) sei nicht nur die monatliche Geldentwertung in Cruzeiro von zwanzig auf vierzig Prozent gestiegen. Auch Cardosos Index URV leide bereits unter Inflation. Nach Berechnungen des Wirtschaftsinstituts „Fipe“ in São Paulo stiegen die Preise in URV im April um 2,62 Prozent.

Für die Kandidatur von Fernando Henrique Cardoso, so fürchtet das brasilianische Establishment, könnte dies das Ende bedeuten. Der Kandidat der heftig umstrittenen Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen vereinigt jüngsten Umfragen zufolge lediglich sieben Prozent der Stimmen auf sich und ist vielen Brasilianern namentlich gar nicht bekannt. Sein Herausforderer Luis Inacio Lula da Silva, Kandidat der brasilianischen Arbeiterpartei PT, triumphiert in den Meinungsumfragen mit einem Vorsprung von zweiundvierzig Prozent gegenüber seinen Widersachen aus dem rechten Lager. Astrid Prange

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