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Prozeßbeginn im Fall Dolgenbrodt

Ab heute steht Silvio J. wegen des Brandanschlags auf das Asylbewerberheim von Dolgenbrodt vor Gericht / Verdacht gegen Einwohner als Anstifter ließ sich angeblich nicht erhärten  ■ Von Michaela Schießl

Berlin (taz) – Heute morgen um neun Uhr beginnt vor dem Potsdamer Landgericht der Prozeß gegen den 20jährigen Silvio J. Der Rechtsradikale aus Königs Wusterhausen steht unter Verdacht, in der Nacht zum 1. November 1992 das leerstehende Asylbewerberheim im brandenburgischen Dolgenbrodt angezündet zu haben. Zudem wirft ihm die Staatsanwaltschaft den Verstoß gegen das Waffengesetz und Fahren ohne Fahrerlaubnis vor.

Der Fall Dolgenbrodt sorgte für Schlagzeilen, nachdem die taz am 24. August 1993 die Aussagen des Silvio J. veröffentlicht hatte. J. war am 17. Mai 1992 festgenommen worden, nachdem er sich in einer Skinhead-Kneipe in Königs Wusterhausen der Tat gerühmt und betont hatte, daß es eine Auftragsarbeit gewesen sei. 2.000 Mark hätten EinwohnerInnen des Dorfes springen lassen, um das Heim, das einen Tag nach dem Brand von 86 Asylbewerbern hätte bezogen werden sollen, loszuwerden.

Seit seiner Festnahme streitet Silvio J. ab, an der Brandstiftung beteiligt gewesen zu sein. Aus Geltungssucht habe er sich als Täter ausgegeben. Den Vorwurf gegen die BürgerInnen des 260-Einwohner-Ortes jedoch hielt er aufrecht: Es sei finanzielle und logistische Unterstützung erfolgt. Konkret: 2.000 Mark Belohnung und das Angebot, ein Fluchtboot zu stellen.

Im Vorfeld des Brandes war es in Dolgenbrodt zu ungewöhnlich heftigem Widerstand der Dorfbevölkerung gegen das Asylbewerberheim gekommen. Und auch nach dem Brand fanden sich keine betretenen Stimmen. „Hier im Dorf ist keiner traurig über diese Lösung“, sagte die damalige Bürgermeisterin Ute Preißler. Von einer Geldsammlung für die Täter jedoch wollte niemand im Dorf wissen.

Unklar ist bis heute, warum die 200 Meter entfernte Feuerwehr erst nach 40 Minuten anrückte, warum sich Tage vor dem Brand niemand daran störte, daß Skinheads in Kampfmontur fröhlich grüßend durchs Dorf spazierten.

Erinnern konnte man sich dagegen noch an den Wagen des Silvio J. Der weiße Golf GTI mit Königs Wusterhausener Kennzeichen war beim Asylbewerberheim gesehen worden. So war sich Peter Schultheiß vom Potsdamer Polizeipräsidium schon am 9. September 1993 „ganz sicher“, daß Silvio J. dabeigewesen war. Allerdings ging die Polizei damals noch von einer Tätergruppe von drei Personen aus – neben Silvio J. waren noch zwei weitere Tatverdächtige vernommen worden. Alle drei wurden auf freien Fuß gesetzt. Am 17. September wurde Silvio J. erneut inhaftiert, alle Anträge auf Haftverschonung wurden seither abgelehnt. Für den Prozeß wurden bis zum 22.6. insgesamt neun Verhandlungstage angesetzt.

Der Verdacht gegen die Bürger des Dorfes indes wurde fallengelassen. Nach den Worten des Potsdamer Oberstaatsanwalts Leu konnten die Ermittlungen die Anschuldigungen gegen die Dorfbevölkerung nicht erhärten.

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