: Vatertag à la Magdeburg
■ betr.: „Ausländerhatz bleibt straf frei“, taz vom 14.5.94
Nichts ändert sich in Deutschland. Mit Leichtigkeit ist es „normal“, in Deutschland mit Trillerpfeifen bewaffnete Demonstranten zu verhaften. „Normal“ ist es, vermeintlich „linke“ Demonstranten vor Gericht stellen zu können. Gegen „links“ findet man immer eine Beweislage. Da geben sich die Ordnungsorgane Mühe. „Normal“ ist, daß Polizei und Justiz wachsam sind, wenn Demonstranten gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremisten antreten. Selbst wer sich für ein Grundrecht einsetzt, weiß inzwischen ja nicht mehr, ob er deshalb vielleicht eine Akte beim Verfassungsschutz hat.
Jagd auf „Ausländer“ zu machen ist da in Deutschland einfacher. Gegen Trillerpfeifen kann der Staat noch Zähne zeigen, Gewalt aus rechtsextremer Ecke überfordert anscheinend. „Normal“ bleibt die Blindheit der Justiz. Die Beweislage sei „nicht schlagkräftig genug“, heißt da die Entschuldigung.
In der Polizei hat man anscheinend nicht begriffen, wofür man eigentlich bezahlt wird. Wieder mal eine Ermutigung zu ausländerfeindlicher Gewalt. Allmählich müssen sich die Verantwortlichen schon fragen lassen, inwieweit sie so zur Unterstützung des Rechtsextremismus beitragen. Die Justiz schmeckt allzu oft nach Gesinnungsjustiz. An den Rechtsstaat zu glauben erfordert zunehmend ein hohes Maß an Naivität und Dummheit. Matthias Erntges, Solingen
Wie in schlimmsten SA-Zeiten haben neofaschistische Gewalttäter, im Schutze der noch schrecklicheren Gaffer- und Unterstützer- Szene in Magdeburg, Jagd auf Ausländer gemacht. Wie in Hoyerswerda, Rostock und anderswo war die Polizei total überfordert. Politiker versuchen mit lauen Argumenten, sich aus der Verantwortung zu ziehen, und haben wieder einmal von nichts gewußt.
Wann endlich wird Stärke gegen Rechts gezeigt? Dem rechtsradikalen Pöbel muß endgültig der Garaus gemacht werden. Wir haben die entsprechenden Gesetze. Wir brauchen keine neuen.
Ebenso sind solche Gewalttaten wohlorganisiert. Die rechtsradikalen Schreibtischtäter müssen ebenfalls hinter Gitter. Solange Mordbrenner und Totschläger auf freiem Fuß sind und Schönhuber weiter gegen Juden und Ausländer hetzen darf, brauchen wir uns über rechtsradikale Übergriffe nicht wundern. [...] Karl-Heinz Schmidt, Helmstedt
Sicherlich ist die menschenverachtende Hatz von Magdeburg auf das schärfste zu verurteilen. Doch statt das einzige Heil jetzt wieder nur in strengeren Gesetzen zu suchen, sollte man eher das Übel an der Wurzel packen und die Ursachen für die erschreckende Gewaltzunahme bekämpfen.
Die jungen Menschen in Ostdeutschland brauchten nach der Vereinigung dringend eine Perspektive. Doch statt dessen wurden immer mehr Arbeitsplätze abgebaut, ganze Industrieregionen liegen im Sterben. Hinzu kommen die ungerechten Kürzungen im Sozialbereich. Folge: Die Menschen haben immer weniger im Portemonaie und das Arbeitsamt im Nacken.
Natürlich überträgt sich die Mutlosigkeit und Zukunftsangst der Eltern auch auf die Kinder. Sie fühlen sich von der Gesellschaft ausgegrenzt, versuchen ihren Mangel an Liebe und Geborgenheit durch das neue Gemeinschaftsgefühl in Gruppen und Cliquen zu kompensieren. Und sehr schnell lernen diese Kinder, daß nur, wer Gewalt ausübt, auch Aufmerksamkeit erntet. Es ist die soziale Ungerechtigkeit in unserem Land, die die Täter von Magdeburg jetzt auf die Straße getrieben hat. [...] Wolfgang Lütjens,
Deutsche Hilfe für Kinder von
Arbeitslosen e.V., Hamburg
[...] Der ganze politische Drive beschäftigt sich damit, ob die Polizei rechtzeitig eingeschritten ist oder nicht. Ansonsten sind Attacken wie die vergangene offensichtlich Alltagsbiild geworden: Man braucht sich nicht grundsätzlich Gedanken zu machen, was denn da bei den Kids falschgelaufen ist und läuft. [...] Es gilt, Dampf zu machen bei den SaisonpolitikerInnen, damit wirklich Prävention auf allen Ebenen betrieben wird und Krokodilstränen entlarvt werden können. Für den Bildungsbereich gibt es keine Rezepte, wohl aber Erkentnisse, die weiterführen:
1. Eine erweiterte Lehrerfortbildung ist Nr. 1; Monokulturelle LehrerInnenköpfe haben gegen Rassismus in SchülerInnenköpfen nichts zu bieten. LehrerInnen müssen mit und in anderen Kulturen selber Erfahrungen machen, Konflikte aufarbeiten und regionalisierte Konzepte erarbeiten.
2. Interkulturelles Lernen ist kein Fach, sondern eine Querschnittsaufgabe aller Fächer. Kopperation der Fächer und LehrerInnen ist einer der Schlüssel. Projekte gilt es zu initiieren, einmischen, handeln und untersuchen gehören zusammen. Dies gilt es, in Erlassen festzuhalten.
3. Die Alltäglichkeit des Fremden in den Bildungsinstitutionen ist leicht herzustellen. Fünf bis zehn Prozent Einwandererkinder pro Schule sind keine Belastung, sondern eine Chance. Nicht nur die Integration der Einwandererkinder gilt es in Form einer inhaltlichen Einbindung der Kulturen in den Unterricht weiter zu fördern. Eine schrittweise zu erreichende Quote für ausländische LehrerInnen (sagen wir fünf Prozent im Landesschnitt) könnte die Einwandererkompetenzen den SchülerInnen täglich verdeutlichen.
4. Ausgrenzung von Schwachen ist tägliche Erfahrung vieler SchülerInnen. Integrative Systeme gilt es stärker in den Vordergrund zu stellen. Selektion schafft Outcasts und ein Klima, in dem nach unten weitergetreten wird. Mehr Gesamtschulen in die Landschaft!
5. Schule ist keine Insel: Kooperationen mit anderen Institutionen der Kinder- und Jugendarbeit ist keine neue Forderung, wird aber durch die Diskussionen zur Rassismusprävention wieder aktuell.
Dazu braucht man politischen Willen, etwas mehr Geld und die erklärte Absicht, neue Ansätze zuzulassen, weil die alten offensichtlich bei vielen SchülerInnen versagt haben. H. Klemm, Lehrer an einer
Unesco-Projekt-Schule
Wie viele Opfer rechter Gewalttaten muß es noch geben, damit die Rechten nicht weiter verharmlost werden? Oder werden diese Aktionen von Rechtsradikalen gegen AsylbewerberInnen ganz bewußt von Teilen des Staates gewünscht? Vieles spricht dafür, daß Polizei und die innenpolitisch Verantwortlichen kein wirkliches Interesse am Schutz von AsylbewerberInnen und AusländerInnen haben. Soviel Naivität, daß von einem Camp „rechtsradikaler Skinheads“ keine Gewalt ausgehen wird, kann ein Polizei- und Regierungsapparat doch gar nicht besitzen. Allein im Jahr 1993 haben die „Rechten“ weit über 100 Anschläge auf AusländerInnen und AsylbewerberInnen zum Teil mit Todesfolge verübt. Dies allein müßte doch wohl Grund genug für die Behörden sein, derartige Veranstaltungen, wenn sie schon nicht von vornherein verboten werden, intensiv zu beobachten. [...]
Es entsteht der Eindruck, die völlige Unterschätzung des rechtsradikalen Gewaltpotentials habe System. Mutmaßlich sollen weitere Gründe für „Schnüffelgesetze“ (Burkhard Hirsch zum sächsischen Polizeigesetz) geschaffen und das Wahlkampfthema „Innere Sicherheit“ durch „harte Fakten“ mit Nahrung versorgt werden. Eine andere mögliche Motivation besteht darin, ausländischen MitbürgerInnen zu verdeutlichen, daß die BRD nicht in der Lage ist, sie zu schützen. Dies führt dazu, daß Betroffene sich selbst bewaffnen und, sobald sie sich dann zur Wehr gesetzt haben, abgeschoben werden. Schließlich sind sie dann das Sicherheitsrisiko; die Umkehrung der Rollen „Täter“ und „Opfer“ wird anschließend von Teilen der Presse schon entsprechend geleistet werden; Rostock läßt grüßen.
Besonders erschreckend ist das Verhalten der Justiz: „Die Beweislage ist nicht schlagkräftig genug“, so Staatsanwalt Thiel. Mit Verlaub, „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“, „Schwerer Landfriedensbruch“, „Gefährliche bzw. Schwere Körperverletzung“, „Hausfriedensbruch“, „Verstoß gegen das Versammlungsrecht“... – diese sicherlich unvollständige Aufzählung möglicher Straftaten, die die Justiz gegenüber Rechtsradikalen hätte geltend machen können, soll nur zeigen, wie offensichtlich blind die Behörden auf dem rechten Auge sind. Zum Vergleich: In Mainz findet zur Zeit ein Prozeß gegen einen Antifaschisten statt, dessen beweisbare „Straftat“ darin bestand, daß er ein Stuhlbein in seinem Auto transportierte. Weiterhin wagte es der in Wiesbaden Wohnende, an einem Tag von Mainz nach Wiesbaden zu fahren, an dem es eine Schlägerei zwischen Rechtsradikalen und AntifaschistInnen in Mainz gegeben hatte. Auf dieser Grundlage wurde der Verdächtige über fünf Monate in Untersuchungshaft gehalten, weil angeblich die Gefahr des Abtauchens in die linke Szene bestanden hätte.
Dieser Vergleich illustriert deutlich, daß es wohl kaum die fehlenden rechtlichen Möglichkeiten der Staatsorgane sein können, die ein Einschreiten des „Rechtsstaats“ gegenüber rechten Gewalttaten einschränkt. Die Ursachen können wohl kaum in organisatorischen Mängeln der Magdeburger Polizei liegen. Wie in Rostock konnte die Polizei angeblich gegen die „Rechten“ aus Personalmangel nicht vorgehen. Während der antifaschistischen Gegendemonstration dort, war die Polizei hingegen sowohl personell als auch materiell (zum Beispiel Hubschrauber, die im Tiefflug über der Demo kreisten) „vorbildlich“ ausgestattet. [...] Jürgen Malzahn, Mainz
[...] Am Vatertag haben Rechtsradikale stundenlang Jagd auf Ausländer gemacht, sie haben Ausländer verprügelt und verletzt und Geschäfte beschädigt. Das alles passierte 1994 in Deutschland, dem hochentwickelten und demokratischen Land.
Als ausländischer Mitbürger habe ich wirklich Angst, hier zu leben. Ich bin vom 8. April bis 12. Mai 94 in Magdeburg gewesen. Ich war dort, wo später Hooligans Menschen gejagt haben. Ich hatte Glück, daß ich unverletzt davongekommen bin. Aber wie lange kann das gutgehen in diesem Land, wo jedes Jahr über 2.000 Angriffe auf Menschen gemeldet werden, ausländische Wohnungen verbrannt, Menschen getötet und Synagogen wieder und wieder angezündet werden. [...]
Ich appelliere an alle fortschrittlichen Kräfte, aktiv zu werden, damit wir uns sicherer fühlen können. M. Shah Alam, Düsseldorf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen