Veteranen am "heiligen Ort"

■ Fünf Zeitzeugen trafen sich zu Dreharbeiten am Ort der Kapitulation in Karlshorst / Versöhnungsrhetorik ohne Kontroversen / Der Russe blieb außen vor

Die fünf alten Herren sahen sich zum Verwechseln ähnlich: graues bis weißes Haar, graublauer Anzug, Brille. Der Franzose, René Bondoux, war mit 89 Jahren der Älteste, der Russe, Michail Jakowlewitsch Poselski, mit 76 Jahren der Jüngste. Sie alle waren, in ganz unterschiedlicher Funktion, dabeigewesen, als der deutsche Generalfeldmarschall Keitel in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 im sowjetischen Hauptquartier in Karlshorst die „bedingungslose Kapitulation“ des nationalsozialistischen Deutschland unterschrieb.

Wie sehr den Russen auch heute noch daran gelegen ist, machte Poselski deutlich, als er jetzt auf Einladung des ZDF mit den vier anderen Zeitzeugen zum ersten Mal nach Berlin zurückkehrte: „Karlshorst ist für uns eine heilige Stätte. Der Weg hierher war allzu schwer.“ Poselski, der als einziger der fünf militärische Auszeichnungen an der Brust trug, schilderte, wie er als Kameramann den Weg der Roten Armee von Stalingrad bis Karlshorst aufgezeichnet hatte, „die Kamera war meine Waffe“.

Doch schon die Sitzordnung verdeutlichte, daß sich die Zeiten längst geändert haben. Während der 84jährige Ex-Wehrmachtsadjutant Karl Böhm-Tettelbach, schlank und drahtig, elegant mit Krawattennadel, die linke Hälfte des Tisches mit den Veteranen der Westalliierten in Beschlag nahm und fröhlich über das Alter scherzte, mußte sich Poselski mit seiner Dolmetscherin ans rechte Ende des Tischs zwängen. Während der Russe die Leiden des Großen Vaterländischen Krieges beschwor, erzählte Bondoux, der 1945 als Begleitoffizier des französischen Generals in Karlshorst war, wie er bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin die Silbermedaille im Florett gewann und vor Hitler „defilierte“. Guido Knopp, Leiter der Redaktion Zeitgeschichte des ZDF und gemeinsam mit Harald Schott Autor der Fernsehproduktion, ergänzte belustigt, die französische Mannschaft sei ja seinerzeit mit einem „gewissen Gruß“ auf dem Reichssportfeld einmarschiert.

Die Frage, ob „Versöhnung“ überhaupt möglich sei, betrachteten die alten Herren geradezu als überflüssig. Bondoux bemerkte zwar, sein Großvater habe 1870 gegen die Deutschen gekämpft, sein Vater in der „Grande Guerre“, wie die Franzosen den Ersten Weltkrieg nennen, er selbst schließlich als Offizier im Zweiten Weltkrieg. Doch mit dem 8. Mai 1945 sei „die Zeit der Freundschaft gekommen“. Howard Kingsbury Smith, damals Kriegsberichterstatter für CBS und später beim Sender ABC Moderator der Abendnachrichten, hielt eine Versöhnung mit Amerika schlichtweg deshalb nicht für möglich, weil sie bereits existiere. Lord Kenneth Keith, der als britischer Oberstleutnant die deutsche Delegation ins sowjetische Hauptquartier geleitet hatte, riet den Deutschen, nicht allzuviel Gewicht auf die antideutschen Äußerungen einiger „törichter Politiker“ in seinem Land zu legen. Auch Poselski widersprach der Versöhnungsrhetorik nicht, wollte es sich damit aber nicht ganz so einfach machen: „Da ist natürlich etwas zurückgeblieben.“

Guido Knopp, der die Grauen des Weltkriegs stets mit telegenem Grinsen kommentiert, verkündete stolz, in der Sendereihe würden „auch neue Dokumente zur Kriegsgeschichte der letzten Monate“ präsentiert. Seine russische Komoderatorin Ekaterina Liachnizkaja verspricht ebenfalls Neues: „Die Wertung, die ich abgeben werde, ist bei uns noch nicht sehr verbreitet.“ Näheres mochten die beiden noch nicht verraten. Wer mehr wissen will, soll nächstes Jahr im Frühling die ZDF-Einschaltquoten erhöhen, um „ein Bild des Krieges frei von Mythen und Verklärungen“ zu erleben.

Kontroverse Fragen wie etwa nach der Stellung des 8. Mai in der deutschen Geschichte – Befreiung oder Niederlage – blieben ausgespart. Womöglich werden sie in der Fernsehdiskussion thematisiert, die das ZDF für den 50. Jahrestag der Kapitulation plant. Freilich täte es auch der letzten „Staffel“ der Dokumentation „Der verdammte Krieg“ gut, wenn sie sich nicht – wie die beiden bereits gesendeten Sechsteiler „Unternehmen Barbarossa“ und „Entscheidung Stalingrad“ – auf die militärische Ereignisgeschichte beschränkte. Ralph Bollmann