: Ohne Kimono und Maske
Erstmalig in Europa: Issei Ogata, der „Woody Allen Tokios“, der Kabarettist, der ein Bauarbeiter war, der komische Durchschnittsmann, der, der, der... im japanisch-deutschen Zentrum. Eine Empfehlung aus Japan ■ Von Georg Blume
Aus Japan kommen Jahr für Jahr die Kabuki-Stars nach Europa, Buto-Tänzer ziehen um die Welt. Jetzt ist Issei Ogata in Berlin – eine Europapremiere für den berühmtesten Kabarettisten Japans. Der unauffällige kleine Mann aus Tokio gibt im Deutsch-Japanischen Zentrum überhaupt erst seine zweite Vorstellung im Ausland, nach einem gefeierten Auftritt in New York im letzten Herbst.
Auf der Bühne trägt Ogata weder Kimono noch Maske, sondern einen normalen blauen Straßenanzug oder Bauarbeiterkleider. Ogata, 41, ist seit zehn Jahren Kabarettist, aber auch Maler und Schriftsteller. Vorher war er zehn Jahre lang Bauarbeiter. „Katalog des Großstadtlebens“ nennt sich sein Soloprogramm, Szenen aus dem Alltagsleben in der größten Stadt der Welt.
In Tokio sind diese seltenen Vorstellungen in winzigen Theatersälen viele Monate im voraus ausverkauft. Tatsächlich kennen die meisten Japaner Ogata nur vom Video, und um so legendärer ist sein Ruf. Sie nennen ihn den „Woody Allen Japans“, weil Ogatas Stücke von Selbstzweifel und Ironie leben. Schon deshalb gilt seine One-Man-Show in der Szene als Ausnahmeereignis, weil Ogata in keiner Theatergruppe spielt, Filmangebote in aller Regel ablehnt und damit alle Zwänge des meist straff organisierten Schauspielerdaseins in Japan abgestreift hat.
„Wenn ich in Tokio über die Straße gehe, spricht mich niemand an. Mein Gesicht ist den Leuten unbekannt“, bekennt Ogata. Dabei kennen alle Japaner seinen Namen. Doch auf der Bühne verwandelt sich Ogata mit jeder neuen Szene: In Berlin spielt er den Angestellten in der übervollen Tokioter U-Bahn oder den Mann mittleren Alters auf Besuch in einem Heiratsvermittlungsinstitut. Er schuftet einmal als Bauarbeiter wie in seinem früheren Leben, dann steht er als Sektenprediger auf einem Bierkasten. Immer bleibt Ogata der einfache Mann aus dem Volk, und er wirkt dabei für japanische Augen völlig normal: Deswegen erkennt ihn später auf der Straße niemand wieder. In eben diesem Zugriff auf das in Japan Alltägliche liegt seine Stärke.
„Ich habe meine Stücke neulich vor meinen alten Kollegen von der Baufirma aufgeführt. Deren Applaus war für mich besonders wertvoll.“ Wie Ogata das kurz vor seiner Abreise nach Berlin erzählte, kamen Zweifel auf, weshalb er nun ausgerechnet in Deutschland aufführen will. Ogata gesteht, daß er die U-Bahn-Szene in Japan längst aufgegeben hatte und erst in Berlin wieder spielt, weil die Situation vielen Zuschauern bekannt sein möge. Tatsächlich taucht der Vergleich der Tokioter U-Bahn mit einer Sardinenbüchse in jedem Reiseführer auf. Ebenso könnten die von Ogata karikierten Angestellten mit Anzug und Aktentasche möglicherweise nur zum westlichen Klischee des überarbeiteten, firmentreuen Japaners beitragen.
„Es ist für mich wichtig, vom typisch Japanischen zum allgemein Menschlichen zu gelangen“, entgegnet Ogata solchen Bedenken. Die Auftritte in New York und Berlin seien in dieser Hinsicht ein Test für ihn. Ogata reüssiert mit diesem Anspruch vor allem in seiner letzten Szene der Berliner Vorstellung: Darin ist er Angestellter einer Druckerei und erwartet auf einem bewachten Parkplatz einen Kunden. Während Ogata zwischen den leicht verwechselbaren Toyotas und Nissans mit seinen Visitenkarten hantiert, wie es nur Japaner können, erleidet er einen Gedächnisverlust. Über die großen Stationen seines Lebens – Schule, Sportverein, Tankstellenjob, Arbeitslosigkeit – findet er schließlich in die Gegenwart zurück und schließt: „Wenn ich nur alles wieder vergessen könnte.“
Ogata gelingt es, mit wenigen Mitteln völlig unterschiedliche Charakterbilder zu entwerfen. Ein neuer Kammstrich, eine neue Brille reichen für die Verwandlung zwischen den Szenen. Seine mimische Darstellungskunst gilt in Japan derzeit als einmalig, weshalb sich der hehre universelle Anspruch des Künstlers vielleicht besser aus der Darbietung ziehen ließe. Mit Ogata ist Japan tatsächlich zum Lachen und Weinen. Auch wenn die Klischees dabei mitwirken: Wann sonst lachen wir über ein Land, das uns mit seiner Wirtschaftsmacht sonst nur das Fürchten lehrt?
Die zweite und letzte Vorstellung findet heute, 19 Uhr, statt, im Japanisch-Deutschen Zentrum, Tiergartenstraße 24/25.
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