Zwischen den Rillen
: Polaroids von fahrenden Schnellzügen

■ Naturgemäß etwas verwischt: Die Allwissende Billardkugel und Die Sterne (beide HH) auf ihrem langen Weg von A nach B

Hätte dies hier nicht eine Plattenkritik zu sein, es wäre wirklich an der Zeit, ein paar Worte über den Inhalt von Promo-Zetteln zu verlieren. Wieder einmal diese schulterbreiten Schlagwörter vorab – und dann noch im schlechtgelaunten Autonomen- Gestus! „Gegen Beschaffungsjournalismus! Gegen Sponsoring!“ Und: „Die Allwissende Billardkugel wird dieses Album eher an 100 Freunde verschenken, als desinteressierte Halbsätze von Menschen lesen zu müssen, denen es sowieso egal ist.“

Da verliert man natürlich gleich alle Lust, sich die frisch reingekullerte zweite Scheibe jener Allwissenden Billardkugel überhaupt anzuhören. Schade, wo doch ihr 93er Debüt „Polaroids aus Amnesia“ von der Vorzüglichkeit nur haarscharf entfernt war. Immerhin ist „es“ uns nicht egal, und wir sind immer noch interessiert.

Denn vielleicht ist ja alles nur Verzweiflung, was sich da so unfreundlich artikuliert. Unfreundlich wie die Songs, vielmehr diese durchaus zitatfähige Lyrik, die Thies Mynther so kompromißlos nörgelnd vorträgt. „Schlechtgelaunte Protestsongs“, war zu lesen. Thies Mynther und Gerrit Detonzin, die beiden Bestandteile der Billardkugel, sind zwei Weirdos, die die Worte um die Ecken jagen, gegen „Werbespotsalltage“ mit „Clearasilgefühl“ ansingen und stets auf der Suche sind nach widerstandsfähigen und nutzbaren Untergrundstrukturen. Die zwei sind Sprachterminatoren, die sich aus der verdorbenen Öffentlichkeit ausklammern, um, das glauben sie jedenfalls, in der medienkritischen „Autonomie des Alles- selbst-Tuns“ Gegenöffentlichkeit herzustellen. „VS. CNN“ mußte der jüngste Wurf denn auch heißen.

Und wieder müssen wir uns da fragen, ob wir es nicht eigentlich satt haben, dieses beinhart Philosophische, dieses anmaßende Nur-wir-erkennen-die-Welt (während alle anderen, korrumpiert und korrumpierend, im „Eurotrash-Express“ sitzen). Und letztlich stellt auch die Allwissende Billardkugel nur eines fest: „Es ist unmöglich.“ Unterwegs von Stadt A nach Stadt B, Alltagsepiphanien im Sog einer nicht einholbaren Wahrheit in Visionen von Visionen zergliedernd, belichten unsere städtischen Intellektuellen eine fragmentarisierte Welt, in der „die meisten arm sind und einige reich“.

Als ob wir das alles nicht schon wüßten – auch das mit der unendlichen Dummheit im Universum; und als ob wir nicht auch sehen würden, daß diese Billardkugel-Attitüde was von müdem Gelangweiltsein an sich hat: „Alles, was ich weiß, wußte ich schon mit 17“, sagt da Thies Mynther, dem nur zu wünschen bleibt, daß er unser methusalemisches Alter von 33 erlebt, um diese Ansicht korrigieren zu können.

Und dann gibt man auch noch zu, daß dieses Album „in einem vorübergehend leerstehenden Elternhaus“ aufgenommen wurde! Nein, man nimmt ihnen nichts mehr so richtig ab – egal was sie sagen, ob „Du veränderst die Welt, ob du willst oder nicht“ oder „Je nachdem, wie sehr du Welt bist, vergißt sie dich“. Au revoir, Monsieur Bataille. Dies hier sind keine echten Datendandies, ganz einfach weil nichts echt ist. Dies sind Kinder, die einfach nicht wegkommen. Von hier (siehe auch Beckett).

Eher „In Echt“ sind da Die Sterne, ebenfalls Hamburger, die, nach dem klasse Debüt „Wichtig“ auch gerade ihr zweites Album aus dem Studio gewuchtet haben. Die Sterne besitzen, bei aller Gemeinsamkeit im Sprachterminatorischen, im Fordern von Bewegung, im Verdaten von Zeit, Medien, Schnellzügen, Parties und dem roten Faden von Geschichte genau das, was der Billardkugel völlig abgeht: Humor. Man lausche nur mal „Il Silenzio“; oder dem Instrumental „Franzi und Crack“; oder Zeilen wie „Ich bin nüchterner / nüchterner als jene / weil ich hab nüchterne Gene“.

Und: Die Sterne haben Grooves. Obwohl es auch hier um „Gebiete und Geld“ geht, fällt das Fazit nüchterner aus: „Zwischen dem, was ist / und dem, was der Möglichkeit nach sein könnte / findet sich zur Zeit / kein greifbarer Feind.“ Es wird „kurz mal vom Soziologiekanal auf Musik gezappt“, wie Sänger Frank Spilker textet, aber eben unverkrampft, spielerisch. Funky in Adaption Sly Stones, sonnig, soulig, ausgesprochen freundlich, dabei nicht ohne eine gewisse neue Sprödigkeit, die „Wichtig“ noch nicht aufwies – das alles kann Pop als Protest also auch sein.

Die ganzen 45 Minuten drehen sich irgendwie ums Essen – als Metapher für etwas von unmittelbarer Bedeutung, für das es keinen Ersatzstoff gibt, für „einen bestimmten Anspruch auf Wirklichkeit“ in einer „Kaugummiwelt“ (Spilker), ums Fressen und Gefressenwerden. Bestandteil sein oder kein Bestandteil sein bewirkt hier keine Gehirnobstipation.

„Irgendwie ähnlich, diese Welten“ – was zugleich auch auf das Verhältnis von Sternen und Billardkugel zutrifft. Und doch: Vielleicht haben die Sterne „es“ ja tatsächlich „getroffen / nicht gelesen“. Wer nicht ißt, muß bekanntlich sterben. Anke Westphal

Die Allwissende Billardkugel: „VS. CNN“. (WSFA/Indigo).

Die Sterne: „In Echt“. (L'Age D'Or/EWM).