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Ein total absurder Schritt

■ Ein Interview mit dem Produzenten und Filmhändler Shu Kei aus Hongkong über die jüngste Verschärfung der Pekinger Filmpolitik und die Apathie des Westens

Letztes Jahr lief in Cannes Tian Zhuangzhuangs neuer Film „The Blue Kite“ („Der blaue Drachen“), der das gleiche Thema hat wie Zhang Yimous neuer, vor drei Tagen vorgestellter Film „Leben“: Die chinesische Geschichte der letzten vierzig Jahre, vor allem der „Große Sprung“ in den fünfziger Jahren und die Kulturrevolution in den Sechzigern. Politisch ist Tians Film allerdings wesentlich aggressiver. Mitte April erging das Berufsverbot: Alle Studios, Kopierwerke, Materialverleihe der Volksrepublik China wurden durch einen Erlaß des Pekinger Filmbüros angewiesen, nicht mehr mit Tian sowie sechs weiteren Regisseuren zusammenzuarbeiten. Die Maßnahme erstreckt sich auf Spielfilme, aber auch Musikvideos und Werbespots. Shu Kei, Filmhändler und Produzent in Hongkong, vertritt die Weltrechte am „Blauen Drachen“ wie auch die von drei anderen der sieben betroffenen chinesischen Regisseure. Wir trafen Shu Kei am Donnerstag abend in Cannes.

taz: Was bedeutet das Berufsverbot für die sieben betroffenen Regisseure – heißt es, daß sie überhaupt nicht mehr arbeiten können, oder gibt es Wege, es zu umgehen?

Shu Kei: Natürlich ist es schlecht für sie. Alle diese Regisseure haben schon längst Projekte für neue Filme. Sie werden einen Berg von Schwierigkeiten überwinden müssen, um sie zu realisieren. Sie können kein Material mieten oder Studiozeit buchen.

Können sie unter falschem Namen oder auf Video drehen?

In China schaffen es die Leute immer irgendwie, sich durchzuschlagen und ihre Probleme zu lösen. Diese Filmleute werden es auch schaffen.

Eine andere Maßnahme scheint mir für das chinesische Kino noch einschneidender zu sein. Das Ministerium für Film, Funk und Fernsehen verlangt, daß alle in China gedrehten internationalen Koproduktionen künftig auch technisch in China gefertigt werden müssen. Das heißt, daß die chinesische Regierung ihre Hand auf die Nullkopien legt und mißliebige Filme nicht mehr rauszurücken braucht.

Ein total absurder Schritt. Dadurch soll die internationale Verbreitung der Filme kontrolliert werden. Aber welcher internationale Partner wird sich auf eine solche Klausel einlassen? Allein der technische Standard ist in China nicht hoch genug. Niemals hätten sich Steven Spielberg für „Reich der Sonne“ oder Vittorio Storario, der Kameramann des „Letzten Kaisers“, auf so eine Bedingung eingelassen. Und welcher Produzent würde das Risiko auf sich nehmen, einen Film zu drehen, den er dann wegen eines chinesischen Verbots nicht auswerten oder nur in einer zensierten Fassung zeigen könnte?

Hätten Zhang Yimous oder Chen Kaiges Filme unter dieser Bedingung entstehen können?

Unter diesen Bedingungen niemals. Aber es mag sein, daß sich die chinesische Regierung bei großen Produktionen konzilianter verhalten würde.

Wären diese Maßnahmen dann überhaupt ernst zu nehmen?

Auf lange Sicht wird die Regierung diese Politik nicht durchhalten können. Vor ein paar Tagen ist ein neuer Filmminister ernannt worden. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen, vielleicht auch nicht, niemand kennt den Mann. Sein Vorgänger, Ai Zisheng, war allerdings ein strammer Reaktionär.

Wieviele internationale Koproduktionen – das heißt auch Koproduktionen mit Hongkong oder Taiwan – gibt es eigentlich?

In diesem Jahr hat die chinesische Regierung die Zahl auf 25 begrenzt, im letzten Jahr waren es fünfzig, das war ihr zuviel.

Hat das ökonomische Konsequenzen für die Filmindustrie in Hongkong?

Nein. Der geht es auch so schon ziemlich schlecht. Die Publikumszahlen sinken. In der Volksrepublik zu drehen, wird außerdem immer teurer, die Studios verlangen immer höhere Preise. Kaum ein Produzent in Hongkong kann sich das noch leisten. Die Zahl der Koproduktionen ist auch ohne die neuen Zensurmaßnahmen schon stark zurückgegangen.

Glauben Sie, daß die Zensurmaßnahmen in Zusammenhang mit dem fünften Jahrestag des Tiananmen-Massakers stehen?

Seit 1989 steigt jedes Jahr vor dem 4. Juni die Nervosität. Aber ich glaube nicht, daß die Maßnahmen direkt damit zu tun haben.

Und wie sieht es in Hongkong aus: Fürchten die Intellektuellen und die Kulturindustrie, nach der Vereinigung mit der Volksrepublik in deren Zensurpolitik einbezogen zu werden?

Mehr und mehr. China macht keine Anstalten, der ökonomischen eine politische Öffnung folgen zu lassen. Hinzu kommt die Verschlechterung der Beziehungen zu Großbritannien. Zum erstenmal gibt es darum in Hongkong ein großes Interesse an politischer Diskussion – bisher galten die Hongkong-Chinesen ja immer als sehr unpolitisch. Das ist eine gute Sache. Sogar im Fernsehen wird politisch diskutiert, die Fernsehsender bringen seit neuestem wöchentliche politische Talkshows, in denen sehr scharf gestritten wird – auch über die Vereinigung mit der Volksrepublik.

Um noch einmal auf die sieben verbotenen Regisseure zurückzukommen: Bisher wurde die Verschärfung der chinesischen Filmpolitik im Westen noch kaum zur Kenntnis genommen. Es gab auch noch keine Solidarisierung westlicher Kollegen mit Tian und den anderen Regisseuren. Manche sagen, das sei auch besser so, ein öffentlicher Protest würde diesen Regisseuren nur noch mehr schaden. Stimmen Sie dieser Ansicht zu?

Ganz und gar nicht. Im Gegenteil: Es ist eine große Hilfe für sie, wenn sie von westlichen Kollegen und Festivals unterstützt werden. Die Gefahr für sie wird dadurch nicht größer. Interview: Thierry Chervel

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