: Auf der Krim gärt nicht der Sekt allein
Dramatische Zuspitzung des ukrainisch-russischen Konfliktes um die Halbinsel Krim / Kiew schickt angeblich Truppen / Krim-Parlament setzt alte Verfassung wieder ein ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath
Die Mitglieder des Parlaments der Halbinsel Krim bewiesen gestern erneut, daß sie sich aus der ungeliebten ukrainischen Hauptstadt Kiew nichts vorschreiben lassen. 69 von 73 Abgeordneten votierten dafür, die geltende Verfassung durch ihre Vorgängerin vom 6. Mai 1992 zu ersetzen. Diese sieht für die Bewohner der Krim eine russisch-ukrainische Doppelstaatsbürgerschaft vor, räumt der Inselrepublik das Recht auf eigene Streitkräfte ein und stattet sie mit weitgehender Autonomie gegenüber Kiew aus. Bereits im März hatten die Bewohner der Halbinsel per Referendum für eine engere Anlehnung an Moskau votiert.
Schon diese Abstimmung wurde von Kiew damals nicht anerkannt, und auch die gestrige Entscheidung des Parlaments verwirft die Ukraine als nicht verfassungskonform. In der Zwischenzeit mehren sich Gerüchte über massive ukrainische Truppenbewegungen von Ismail und Chersones. Russische Medien meldeten sogar, in der Nähe des Dorfes Tschernibajewka sei ein Lazarett errichtet worden. Beweise dafür fehlen freilich, und die Ukraine dementierte jegliche Truppenbewegungen. „Das ist eine neue Phantasiererei der Presseabteilung der Schwarzmeerflotte, die sich in der Rolle des Generalstabs gefällt. Truppen wurden niemals geschickt. Aber selbst wenn es so wäre, wen geht es was an, wohin die Ukraine auf ihrem eigenen Boden Truppen schickt?“ kommentierte das Kiewer Verteidigungsministerium.
Nach Angaben aus Geheimdienstquellen bereite die Ukraine gar einen Angriff auf eine Flußschiffeinheit in Ismail vor. Die dafür zuständige Spezialeinheit soll dieselbe sein, die vor einigen Wochen Schiffe des russischen Teils der Schwarmeerflotte mit Gewalt übernommen hatte. Das russische Außenministerium spielte den Vorgang damals mit der Begründung, was auf der Krim vorginge, könne Rußland nicht beunruhigen, herunter. Aber weder die russische Regierung noch das Parlament bezogen bislang Stellung zu dieser Haltung. Der Streit um die Aufteilung der in Sewastopol stationierten Schwarzmeerflotte zieht sich schon seit beinahe drei Jahren hin. In beiden Hauptstädten gibt es Kreise, die Interesse an einer Zuspitzung der Lage auf der Krim haben.
Die Vermutungen, nach denen der regierende Zirkel in Kiew die Situation rund um die Krim nutzen will, um noch ein paar Monate an der Macht zu bleiben, sind nicht einfach von der Hand zu weisen. Immerhin lehnt das ukrainische Parlament eine Verschiebung der Präsidentschaftswahlen auf den Herbst bisher ab, obwohl Präsident Leonid Krawtschuk selbst die Abgeordneten gebeten hatte, die Wahlen erst nach der Verabschiedung einer neuen Verfassung abzuhalten. Seit Krawtschuks Partei bei den Parlamentswahlen schlecht abgeschnitten hat, fürchtet der Präsident um seine Wiederwahl. Zudem stellen die oppositionellen Sozialisten jetzt den Vorsitzenden der „Hohen Rada“, des Kiewer Parlaments. Deren Frontmann Alexander Morozow möchte den günstigen Wind für seine Kandidatur für die Präsidentschaft nutzen. Sollte sich Moskau allzu offen für die Sache der Krim einsetzen, könnte das Rückwirkungen auf seine Wahlchancen haben, befürworten doch die Sozialisten in ihrer Mehrheit eine Rückkehr in den Schoß Mütterchen Rußlands. Vielleicht möchte Krawtschuk, der sich als Garant einer unabhängigen Ukraine versteht, seine Strategie darauf ausrichten. Die Wahlergebnisse offenbarten die wachsende Konfrontation zwischen dem Westen und dem nach Rußland schielenden Osten des Landes. Da die Krawtschuk-Riege wirtschaftlich völlig versagt hat, wäre die nationale Karte das einzige, was ihr ein Überleben sichern könnte. Spitzt sich die Lage auf der Krim zu, hätte der Präsident die Möglichkeit, den Ausnahmezustand zu erklären und so die Wahlen zu umgehen. Ein bewaffneter Konflikt mit Moskau ist dagegen unwahrscheinlich: Kiews Armee befindet sich in einem noch erbärmlicheren Zustand als die des großen Nachbarn.
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