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Mit dem geplanten Forschungsreaktor FRM-II torpedieren Münchner Professoren Bemühungen zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen. 50 Physiker wollen jetzt verhindern, daß in Garching bald waffenfähiges Uran strahlt. Von Gerd Rosenkranz

Memorandum gegen Atomhasardeure

Vergangene Woche, anläßlich der Jahrestagung der Atomgemeinde in Stuttgart, mußte sich Dieter von Ehrenstein noch ziemlich einsam vorkommen. Als der Bremer Physikprofessor dort verkündete, er könne das von seinen Münchner TU-Kollegen verfolgte Konzept für den neuen Forschungsreaktor FRM-II „nicht mittragen“, erntete er erst eisiges Schweigen und dann einen unflätigen Zwischenruf: „Mußt du auch nicht, du Schwätzer!“

Seit gestern ist klar, daß von Ehrenstein mit seinen Bedenken nicht allein steht. 50 Physiker, darunter über 20 Professoren, warnen in einem Offenen Brief eindringlich vor dem geplanten Einsatz von hochangereichertem Uran (U-235) in dem 20-Megawatt-Meiler, der nach der Jahrtausendwende das legendäre Garchinger „Atomei“ als Neutronenquelle für die wissenschaftliche Forschung ablösen soll. Der Grund: Hochangereichertes Uran (HEU: Highly Enriched Uranium) wird auch in Atombomben genutzt. Im Gegensatz zu nuklearen Sprengsätzen auf Plutoniumbasis können Uranbomben ohne großen technischen Aufwand zusammengebastelt werden, sobald eine genügende Menge Uran hoher Anreicherung zur Verfügung steht.

„Wir halten den FRM-II in der vorliegenden Konzeption für außen- und sicherheitspolitisch schädlich“, mahnen die Physiker, unter ihnen international renommierte Wissenschaftler wie Hans Peter Dürr vom Münchner Max- Planck-Institut für Physik oder der frühere Vorsitzende der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und der European Physical Society, Werner Buckel. „Der Bau dieses Reaktors“, fürchten die Unterzeichner, „würde die weltweiten Bemühungen um Nichtverbreitung von Kernwaffen (Non-Proliferation) unterminieren.“

Schrittweise Verbannung des Bombenstoffs

Tatsächlich haben sich die Münchner TU-Professoren, mit den Projektleitern Wolfgang Gläser und Klaus Böning an der Spitze, seit 1987 zielstrebig ins Abseits manövriert. Die „weltweiten Bemühungen“ nämlich begannen schon 1978. Damals hatten insbesondere die Amerikaner unter Präsident Jimmy Carter darauf gedrängt, den brisanten Bombenstoff schrittweise aus dem zivilen Brennstoffkreislauf zu verbannen. Unter der Schirmherrschaft der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien wurde eigens ein Programm zur „Anreicherungsreduzierung in Forschungsreaktoren“ (RERTR: Reduced Enrichment for Research and Test Reactors) ins Leben gerufen. Die Anstrengungen waren durchaus erfolgreich.

In den achtziger Jahren gelang den Reaktortechnikern die Entwicklung neuer hochverdichteter Brennstoffkonfigurationen, in denen pro Volumeneinheit erheblich mehr Uranatome untergebracht sind als in konventionellen Brennelementen. Im Gegenzug konnte der Anteil des spaltbaren Uranisotops U-235 gegenüber dem nicht spaltbaren U-238 soweit reduziert werden, daß das Material zur militärischen Zweckentfremdung nicht mehr taugte. Die Einbußen beim für die Experimente entscheidenden „Neutronenfluß“ blieben gering. Inzwischen kann die große Mehrzahl der weltweit über 300 Forschungsmeiler auf nicht mehr bombenfähige Brennstoffe (LEU: Low Enriched Uranium) umgestellt werden. Zahlreiche Anlagen haben – wie der Forschungsreaktor FRG-I in Geesthacht – die Konversion zu nicht waffenfähigem Uran bereits hinter sich, in anderen wird sie vorbereitet. Die USA, die in der westlichen Welt von Anfang an als alleiniger HEU- Lieferant auftraten, exportierten nach einer Übersicht der US- Atombehörde NRC insgesamt knapp 26 Tonnen des Bombenstoffs zur zivilen Nutzung. In Hochzeiten waren es jährlich über zwei Tonnen, seit Anfang dieses Jahrzehnts aber nur noch maximal 200 Kilogramm. Das Ziel heißt null Kilogramm.

In Deutschland „noch nie etwas verlorengegangen“

Die Münchner TU-Professoren scherten sich wenig um die Anstrengungen ihrer Kollegen. Im Gegenteil, seit 1987 planten sie frohgemut ihren FRM-II, der pro Jahr etwa 40 Kilogramm HEU verspeisen soll, genug für mindestens zwei Bomben. Doch Gläser und Co. gingen noch weiter: Sie wollen nicht nur den weltweit ersten HEU-Forschungsreaktor seit dem Start des internationalen Abreicherungsprogramms bauen, sondern noch dazu die technischen Erträge des Programms für sich nutzen. Im Kern des Garchinger Meilers sollen just jene hochverdichteten Uranbrennstoffe strahlen, die im Zuge des RERTR-Programms entwickelt wurden. Aber eben nicht, wie avisiert, mit nicht waffenfähigem LEU, sondern mit HEU.

Ein dreister Coup, der insbesondere die Amerikaner, aber auch japanische und deutsche Wissenschaftler schon vor Jahren irritierte. Beim alljährlichen Fach- Meeting der RERTR-Beteiligten erinnerte Armando Travelli vom Argonne National Laboratory im US-Bundesstaat Illinois die Münchner Kollegen schon 1988 daran, daß immerhin 50 Millionen Dollar und 40 Millionen Mark an Steuergeldern zur Eindämmung des Proliferationsrisikos aufgebracht wurden – und nicht zur Verbesserung der Forschungsmöglichkeiten für eine einzelne Wissenschaftlergruppe. Dickfellig blieben die Deutschen bei ihren Plänen und plädierten offen für ein rasches Ende des RERTR-Programms. Es sei genug erreicht. Auch noch die sogenannten „Hochflußreaktoren“ (zu ihnen würde der FRM-II gehören) auf LEU-Uran umstellen zu wollen, sei „der Mühe nicht wert“, meinte Gläser damals.

Klaus Böning retournierte von Ehrensteins Bedenken jetzt in Stuttgart mit dem Standardargument, in Deutschland und Europa sei schließlich „noch nie etwas verlorengegangen“. Doch darum geht es den Unterzeichnern des gestern veröffentlichten Briefes gar nicht. Auch sie halten für unwahrscheinlich, daß ausgerechnet der Garchinger Bombenstoff direkt oder auf Umwegen bei terroristischen Gruppen oder Schwellenländern mit nuklearen Ambitionen landet. „Der Bau eines neuen deutschen Forschungsreaktors unter Verwendung von hochangereichertem Uran“, schreiben die Physiker, „wäre ein Präzedenzfall.“ Und dieses „schlechte deutsche Beispiel könnte Schule machen“. Wie, fragen die Wissenschaftler, will man anderen Ländern ein „Sonderrecht“ erklären, das sich Deutschland entgegen internationalen Absichtserklärungen herausnähme. Der beinahe schon eingeschlafene zivile Handel mit dem ungemütlichen Bombenstoff werde, wenn das Münchner Projekt realisiert werde, möglicherweise eine von niemandem gewollte Renaissance erleben.

Vergebliches Uran- Shopping in Rußland

Genau so sehen es auch die Amerikaner. Aufgeschreckt vom Atomwaffenprogramm in Saddam Husseins Irak verabschiedeten die USA 1992 neue restriktive Bestimmungen für den HEU-Export. Doch auch diese Entscheidung weckte die Münchner nicht. Nachdem das US-State Department den Deutschen in den vergangenen Monaten und Wochen zunächst informell, dann formell mitteilen ließ, man denke gar nicht daran, HEU für den geplanten FRM-II zu liefern, suchten die Münchner in Europa nach alternativen Quellen. Gläser versicherte zunächst, man könne auf HEU-Reste aus dem 1989 gescheiterten Hochtemperaturreaktor THTR-300 von Hamm- Uentrop zurückgreifen. Das war, gelinde gesagt, die Unwahrheit. Denn das Material ist nach Auskunft der Kernbrennstoff-Dealer der Firma Nukem in Alzenau längst verkauft.

In München war das intern bekannt, weshalb man sich Richtung Osten orientierte. Am 14. April saßen im Moskauer Atomministerium Vertreter aus dem belgischen Mol und aus München mit potentiellen russischen Partnern zusammen, um über mögliche Lieferungen aus dem russischen HEU-Fundus zu verhandeln. Doch auch das lief schief. „Die Reisekosten“, mokiert sich ein Fachmann aus der Forscherszene, „hätte man sich sparen können.“ Die Russen zeigten sich ebenso lieferunwillig wie zuvor die Amerikaner.

USA setzen alles daran, das Projekt zu verhindern

Aus gutem Grund: Ein zwischen Moskau und Washington ausgehandelter Deal zum Export von hochangereichertem Uran aus dem russischen 1.000-Tonnen-Inventar enthält nach Informationen der taz eine Klausel, wonach sich die Russen verpflichten, nicht an Drittländer, also auch nicht nach Deutschland, zu liefern. Das US- Fachblatt nuclear fuel berichtet in seiner neuesten Ausgabe, daß Washington alles tut, um auch noch die letzten denkbaren HEU-Quellen für den FRM-II zu stopfen: Großbritanniens Premier Major habe sich inzwischen verpflichtet, einen britischen 600- bis 800-Kilogramm-Vorrat an HEU keinesfalls weiterzuverkaufen. 300 bis 400 Kilogramm waffenfähigen Urans aus US-Beständen, die sich derzeit unter der Kontrolle der Euratom, der Atomorganisation der EU, befinden, sollen dem internationalen Handel ebenso entzogen werden. Frankreich, das ebenfalls noch über einen HEU-Vorrat aus US- Beständen verfügt, will die Amerikaner überreden, das Material, wenn überhaupt, nur noch in eigenen Forschungsreaktoren, etwa in Grenoble, aufzubrauchen. Schlechte Karten also für die Münchner Einzelgänger.

Neuer Reaktor torpediert Atomwaffensperrvertrag

Unterdessen versucht die Bundesregierung – die neben Bayern die Hauptlast der etwa 700 Millionen Mark tragen soll, die das Garchinger Projekt einmal kosten wird –, die Sache auszusitzen. Von dem Münchner Forschungsmeiler gehe „kein Proliferationsrisiko“ aus, verkünden seit Monaten auf entsprechende Anfragen Bundesforschungsminister Paul Krüger und sein Staatssekretär Bernd Neumann (beide CDU). „Seitens der Bundesregierung“ habe es auch über mögliche HEU-Lieferungen „weder Gespräche mit russischen Stellen gegeben, noch sind solche Gesprächskontakte von ihr unterstützt worden“.

1995 soll in Genf über die Zukunft des Atomwaffensperrvertrags entschieden werden. Für Außenminister Kinkel (FDP), der sich im Dezember 1993 mit einer „Zehn-Punkte-Initiative“ als Musterknabe der internationalen Anti-Proliferationsbemühungen zu profilieren suchte, könnte der geplante Forschungsmeiler schon bald zum Klotz am Bein werden. „Der weltweit in Diskussion gekommene Produktionsstopp für waffentaugliche Spaltstoffe“, schreiben die 50 Physiker in ihrem Offenen Brief, „würde im Ansatz torpediert durch die Errichtung eines Reaktors, der HEU benötigt.“

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