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Buchstäblich Brücken errichten

Der zukünftige Administrator Mostars Hans Koschnik auf Stippvisite in einer zerstörten und geteilten Stadt. Dem Bremer Ex-Bürgermeister wurde ein freundlicher Empfang bereitet.  ■ Aus Mostar Erich Rathfelder

Geduldig steht Frau Imamović in der Schlange von 100 Menschen, die täglich von 7 Uhr morgens bis 19 Uhr die Demarkationslinie von Mostar-West nach Mostar-Ost überschreiten dürfen. Sie wolle Verwandte besuchen, sagt die Kroatin voller Erwartungsfreude, die Familie ihrer Schwägerin. „Mein schon vor dem Krieg verstorbener Mann war Muslim“, fügt sie hinzu. Sie hat allerlei Geschenke dabei, Lebensmittel und Schokolade für die Kinder. In dem Zelt an der Demarkationslinie studiert ein spanischer UNO-Soldat umständlich ihre Papiere, um schließlich mit einem Wink anzudeuten, daß sie passieren darf. Eilig geht sie weiter, vorbei an dem anderen Zelt, wo 100 Menschen den umgekehrten Weg nehmen wollen. Noch immer säumen Trümmer den Straßenrand. Auf der „anderen Seite“ sinkt sie in die Arme ihrer Schwägerin, die dort auf sie gewartet hat.

In Mostar, der nach wie vor geteilten Stadt, ist ein kleiner Grenzverkehr eingerichtet worden – nach einer nun schon zwei Monate anhaltenden Entspannungsphase im Krieg zwischen der kroatischen HVO und der bosnischen Armee. Hier, zwischen den Ruinen ehemaliger Verwaltungs- und Geschäftsbauten, Mauerresten mit ausgebrannten Fensterhöhlen, verläuft die Frontlinie zwischen dem von der HVO besetzten Westteil und dem noch von der bosnischen Armee gehaltenen Brückenkopf auf dieser Seite der Neretva. Nach über einem Jahr furioser Kämpfe ist hier endlich Ruhe eingekehrt. Noch stehen sich die Militärs zwar wachsam gegenüber, aber geschossen wird nicht. Auf der kroatischen Seite sind seit kurzem alle Zivilisten entwaffnet worden. Selbst ein Soldat, der auch nur einen Schuß abgibt, wandert für 40 Tage in den Knast. Und auf der Ostseite, in der Altstadt, wo die bosnische Armee das Sagen hat, sind zivile Desperados seit jeher im Zaum gehalten worden. Doch Scharfschützen hat es auch hier gegeben. Sie haben endlich auf beiden Seiten ihre Spezialgewehre eingepackt. Lachende Gesichter auf den Straßen des Ostens und des Westens, man genießt die wärmenden Sonnenstrahlen, und die dauernde Angst ist endlich gewichen. „Jetzt“, sagt Mate, ein ehemaliger Student, der vor kurzem die kroatische HVO verlassen hat, „geht es darum, den Krieg zu vergessen und die Stadt wieder aufzubauen.“

Dabei soll einer helfen, der als Bürgermeister Bremens schon einmal bewiesen hat, daß er in der Lage ist, die Ärmel hochzukrempeln. Dieser Ruf ist ihm zumindest nach Mostar vorausgeeilt, und zwar auf beiden Seiten. „Wir hoffen auf Hans Koschnik“, sagen Passanten im kroatisch wie im bosnisch-muslimisch beherrschten Teil. „Beide Seiten stimmten zu, daß ich Administrator der EU hier werde, auch wenn es zunächst Bedenken von muslimischer Seite gab, ein Deutscher könnte zu sehr mit den Kroaten kungeln.“ Hans Koschnik runzelt die Stirn. Sein Blick streift die grünen Wasser der Neretva und den Ort, wo einmal die alte, legendäre Brücke stand. „Mein Ziel ist es, dabei zu helfen, buchstäblich und symbolisch Brücken zwischen beiden Teilen zu errichten.“ Der Journalistentroß, der ihn bei diesem ersten Stadtrundgang umgibt, schreibt eifrig mit. Ein griffiges Zitat. Und die umstehenden Bewohner der Stadt nicken zustimmend.

Wird es möglich sein, nach den Schrecken des Krieges wieder an die Zeiten davor anzuknüpfen? Die Menschen im Osten und im Westen trennt heute vieles, vor allem ihre unterschiedlichen Erfahrungen. Als am 9. Mai 1993 der Angriff der kroatischen HVO auf die Altstadt begann, war die Parole ausgegeben worden, Mostar sei eine kroatische Stadt. Die kroatischen Truppen begannen sogleich, die nicht kroatische Bevölkerung über die Demarkationslinie zu treiben. Ganze Familien mußten Hals über Kopf ihre Wohnungen verlassen. Einige hundert sind bei diesen Aktionen ermordet worden.

„Noch den Toten wurde der Schmuck von den Fingern gerissen“, sagt Faruk, ein Bosniake, Mulsim, mit einer Familiengeschichte von 400 Jahren in der Stadt, „doch das war für uns, die Ureinwohner der Altstadt, nur der erste Schrecken.“ Er deutet auf die Fassade seines Wohnhauses, ein Wohnkomplex mit dem Namen „Beirut“, wie er lächelnd bemerkt. Artillerie-Einschläge haben klaffende Löcher in den Beton geschlagen, von einigen Balkonen sind nur noch verbogene Eisenträger übrig, die langsam vor sich hinrosten. „Hier, diese Wohnung wurde noch von den Karadžić- Truppen zerstört, von den Serben, nach ihrem Rückzug im Sommer 1992, als Kroaten, Muslime und auch einige alteingesessene Serben noch gemeinsam kämpften.“ Die Positionen, von denen aus dann später die kroatische Artillerie geschossen hat, sind auf dem gegenüberliegenden Hügel leicht zu erkennen. „Wir hatten Glück, unsere Wohnung hier im 6. Stock hat nur wenig abbekommen.“ Als der Winter kam, gab es nichts mehr zu essen, „nicht einmal die humanitäre Hilfe kam durch, wir, 55.000 Menschen, waren ja umzingelt und eingeschlossen. Und dann diese Hoffnungslosigkeit.“ 2.000 Tote, 6.000 Verwundete und rund 20.000 vom Westen in den Osten Vertriebene, sei die Bilanz des Krieges.

Doch auch der Westen hat Tote und Zerstörungen zu beklagen. Auch hier hätten die Leute wenig zu essen und kein fließendes Wasser mehr gehabt. Noch vor vier Wochen habe eine Granate von der „muslimischen Seite“ drei spielende Kinder getötet und viele verwundet. Drago Morić, zuständig für den Wiederaufbau im Westteil und enger Mitarbeiter des noch amtierenden Ministerpräsidenten von „Herceg-Bosna“, Jadranko Prlić, sieht in dem Föderationsvertrag eine Chance für die Wiedervereinigung der Stadt. „Mostar wird Hauptstadt eines gemischten Kantons, die Vorstellung, Mostar zur Hauptstadt von Herceg-Bosna zu machen, ist hinfällig geworden.“ Herceg-Bosna werde als Staat nicht existieren, sagt er etwas resigniert.

„Wie schon in der Vergangenheit, als sie sich von Kommunisten zu kroatischen Nationalisten wandelten, haben solche Bürokraten auch in Zukunft keine Probleme damit, sich an die neue Realität anzupassen“, flüstert der Begleiter später. Dennoch sei nicht alles falsch gewesen. „Auch ich habe geglaubt, Mostar sollte eine kroatische Stadt sein.“ Er möchte jedoch nicht zugeben, daß genau dieser Wunsch es war, der die Stadt in Schutt und Asche legte. Er möchte lieber in die Zukunft sehen. Jetzt komme es vor allem darauf an, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Drei große Betriebe gebe es in der Stadt, das Aluminiumwerk, eine Flugzeug- und Hubschrauberfabrik und eine Großkellerei, die vor dem Krieg insgesamt 15.000 Arbeiter beschäftigten. „Wenn es wirtschaftlich aufwärts geht, beruhigen sich die Emotionen.“

80 Prozent der Häuser seien im Ostteil zerstört, erklärt beim Mittagessen der Bürgermeister, Safet Orucević, dem Neuankömmling Hans Koschnik. Von dem Garten über der Neretva aus sind auf der gegenüberliegenden Seite Menschen zu erkennen, die vor den Wasserstellen Schlange stehen. „Wir hatten keine Elektrizität, kein Wasser. Jetzt, mit dem Föderationsvertrag, ist es endlich möglich, die Leitungen zu reparieren.“ Er dankt für die Hilfe des deutschen Technischen Hilfswerkes, das sich in beiden Teilen der Stadt um solche Probleme kümmert. Die Infrastruktur wieder herzustellen sei die dringlichste Aufgabe, die er für sich sehe, stimmt Hans Koschnik zu. „Bremen war nach 1945 auch ein Trümmerfeld. Einige Gebäude hier müssen wohl abgerissen werden.“

Im Büro des UNO-Kinderhilfswerkes Unicef ist Dr. David Southall eingetroffen, dem es gelang, in England Gelder für drei mobile Kliniken aufzutreiben. Auch die Medicos del Mundo, eine spanische Organisation, ist auf diesem Gebiet tätig. Hinzu kommen Projekte der Organisation Terre des Hommes und der Hilfsorganisation Cap Anamur.

Das seien doch Ansätze, meint Koschnik. „Wir müssen aber weit mehr tun. Dazu brauchen wir Geld.“ Er betont die Notwendigkeit, das Wirtschaftsleben wieder anzukurbeln, auch während des Besuches bei Miso Brajković, dem Bürgermeister des Westteils der Stadt. Damit ist immerhin in diesem Punkt schon ein Einverständnis zwischen West und Ost und dem neuen Administrator erzielt.

Völlig unklar ist, welche Kompetenzen der Administrator haben wird. „Es gibt zwei Stadtverwaltungen, die mit mir kooperieren müssen.“ Wenn sich aber eine Seite sperrt? Koschnik will dann Autorität einsetzen. Bloß welche? „Eine eigene Polizeitruppe kommt nicht in Frage.“ Wie sollen dann aber die im letzten Jahr in den Ostteilen Vertriebenen wieder in ihre Wohnungen in den Westteil zurückkehren können? Die Zeit drängt. „Wir können unsere Leute nicht ewig vertrösten, sie wollen so schnell wie möglich zurück nach Hause“, erklärt Safet Oracuvić, der Bürgermeister-Ost. „Und was sollen wir mit den Kroaten tun, die jetzt in den Wohnungen leben und selbst Vertriebene aus Zentralbosnien sind“, fragt Drago Morić (West) zurück.

Frau Imamović muß wieder vom Ostteil in den Westteil zurückkehren. Bei der Schwägerin haben sich die Nachbarn versammelt, um sie zu verabschieden. Lina, die vor 20 Jahren „aus Kroatien, aus Knin“ nach Mostar kam, betont ihre serbische Herkunft. „Hier im Ostteil habe ich nichts zu befürchten.“ Die Ursache des Krieges sei der Nationalismus, der das Verbrechen in sich birgt, weil er die Vorherrschaft einer Nation proklamiert. „Wir wollen und können alle zusammenleben, das ist eben Mostar, hier lebten Kroaten, Muslime, Serben und Juden. So ist es auch während des Krieges im Ostteil geblieben, so soll es in ganz Mostar wieder sein.“ Frau Imamović nickt und schließt die Freundinnen in die Arme.

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