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Der Mann mit dem Blüten-Koffer

SPD-Europaparlamentarier Dieter Schinzel nach spektakulärem Polizeieinsatz mit Falschgeld verhaftet  ■ Von Bernd Müllender

Aachen (taz) – Nur ein D2- Funktelefon war auf Tisch drei des Aschaffenburger Restaurants „Zur Post“ liegengeblieben. Es piepte noch über Stunden fast ununterbrochen. Immer wieder, sagt der Kellner, hätten Anrufer nach dem Dieter verlangt. Doch Dieter Schinzel, 51, prominenter SPD- Europaparlamentarier aus Aachen, hatte das Lokal nach dem Verzehr von Kalbsmedaillons und einem Schoppen fränkischen Burgunders in großer Hektik verlassen müssen.

Denn am Freitag gegen 17 Uhr riß ein Sonderkommando von etwa zehn Zivilbeamten Schinzel und sechs weitere Gäste zu Boden, legte ihnen Handschellen an und nahm sie in U-Haft. Ein Koffer mit rund fünf Millionen Schweizer Franken Falschgeld wurde sichergestellt, dazu eine Schußwaffe. Zunächst verhängten die Behörden eine Nachrichtensperre, „angesichts der hohen Brisanz“, so ein Polizeibeamter. Der Vorwurf laut Schinzels Anwalt: versuchte Hehlerei, Geldwäsche, illegale Devisengeschäfte mit Blüten, die womöglich aus kriminellen Geschäften stammen. Indes, sein Mandant habe von nichts gewußt.

Gestern bestätigte der Leitende Oberstaatsanwalt beim Aschaffenburger Landgericht die Informationen über die spektakuläre Festnahme. Die Inhaftierten sind neben Schinzel vier Männer aus Ex- Jugoslawien und Polen sowie zwei deutsche Frauen, alle in Nordrhein-Westfalen ansässig. Der zuständige Ermittlungsrichter hat gestern gegen Schinzel und fünf der sechs anderen Haftbefehl erlassen. Erst vergangenen Mittwoch hatte Dieter Schinzel geheiratet, seine Angetraute erwartet in dieser Woche ihr zweites Kind. Doch statt für den Kreißsaal das gemeinsame Atmen zu üben, atmet Schinzel jetzt auf unabsehbare Zeit gesiebte Luft. Haftverschonung wurde abgelehnt. Dringender Tatverdacht. Fluchtgefahr. Immunität als Parlamentarier zählt ohnehin nicht, da Schinzel auf frischer Tat „bei der Durchführung einer Straftat“ (Oberstaatsanwalt) ertappt worden ist. Die Staatsanwaltschaft bestätigte ausdrücklich, daß es Hinweise auf die polnische Mafia gebe.

Dieter Schinzels Karriere hatte früh und steil begonnen. 1967, mit zarten 23, wurde er Aachener AStA-Vorsitzender. 1972 errang er als Twen und erster SPD-Politiker das Aachener Direktmandat für den Bundestag, dem er bis 1976 angehörte. Dann folgte seine Karriere im Europaparlament, dem er seit 1979 angehörte. Dabei war er im Grau der Eurokratie immer eine der schillernden Figuren. Arbeitsgebiete des Diplom-Physikers dort: „alle Zukunftsfragen“, wie Telekommunikation, Forschung und Technologie, Aids. Schinzel war medienpolitischer Sprecher der sozialistischen Fraktion.

Daneben war Dieter Schinzel Vorsitzender der Euro-Arabischen Parlamentariergruppe. 1991 wurde er als Nachfolger von Jürgen Möllemann Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Vehement wie kein zweiter kämpfte er, allerdings erfolglos, im Aachener Stadtrat für den Bau eines riesigen islamischen Zentrums in der Bischofsstadt, hinter dem Kritiker eine Brutstätte der fundamentalistischen Moslembruderschaften geortet hatten.

„Die politisch wirksamste Geschichte“ seines Euro-Schaffens nennt der Nahostexperte Schinzel „die Sache mit dem Arafat“. Der Palästinenserchef war 1988, damals eine Sensation, auf Schinzels Initiative ins Europaparlament eingeladen worden, wo er medienumrummelt sprach. Schinzels Engagement im Orient wurde augenfällig, als er 1990, kurz vor dem Golfkrieg, mehrfach mit Willy Brandt in den Irak flog, um mit Saddam Hussein über die (am Ende erfolgreiche) Freilassung deutscher Geiseln zu verhandeln. Immer stand Schinzel, wie auch zahlreiche Archivbilder belegen, als der Mann mit dem Koffer im Hintergrund.

Der Niedergang des Bruders von Schlagersänger Christian Anders begann 1993. Schinzel trat im Streit als Chef der Deutsch-Arabischen Gesellschaft zurück. Privat geriet er offenbar in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Fakt ist, daß eine Bank einen Termin für einen Offenbarungseid vor dem Aachener Amtsgericht erwirkte – Schinzel indes erschien nicht und erklärte alles für ein Mißverständnis. Die FAZ ermittelte die Euro- Volksvertreter mit der niedrigsten Präsenz im Parlament – Spitzenreiter: Dieter Schinzel. Im Sommer 1993 folgten schwere politische Niederlagen: Schinzel wurde nicht mehr zur Wahl ins Europaparlament nominiert.

„Es fährt ein Zug nach nirgendwo“ war einer der Hits von Christian Anders. Wie passend: Der inhaftierte Bruder Dieter ist politisch auf dem Abstellgleis gelandet; „der Mann ist gebügelt, politisch tot, da hilft kein Singen und kein Beten“, sagt unterderhand ein schockierter Aachener Mitgenosse. „Geh nicht vorbei, als wär' nichts geschehn – es ist zu spät, um zu lügen.“ Wir warten gespannt auf Dieter Schinzels Aussagen. Seine Partei hat ihn mittlerweile aller Ämter und Rechte entbunden.

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