: Keine Millionenhilfe, nur Tausende Flüchtlinge
■ Kroatien hat sich von der Bundesregierung über den Tisch ziehen lassen
Innenminister Manfred Kanther war richtig wohl ums Herz, als das „Abkommen über die Rückübernahme von Personen“ am Abend des 24. April endlich unter Dach und Fach war. Die Übereinkunft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien sei „ein sichtbares Zeichen der guten Beziehungen beider Staaten“ und zeige zudem, „daß inzwischen weite Teile des kroatischen Staatsgebietes befriedet“ seien, jubelte Kanther.
Tatsächlich kann von „Frieden“ im bundesrepublikanischen Sinne keine Rede sein. Nicht nur, daß nach wie vor weite Teile Kroatiens in Reichweite der schweren Artillerie der sezessionistischen „Serbischen Republik Krajina“ liegen, auch Infrastruktur und Wirtschaft leiden nach wie vor an den Folgen des Krieges. Zwischen 244.000 und 300.0000 von insgesamt vier Millionen kroatischen BürgerInnen sind nach offiziellen Angaben arbeitslos. Die unabhängige Gewerkschaft SSSH geht sogar von 1,4 Millionen De-facto-Arbeitslosen aus. Hinzu kommen etwa 800.000 FrührentnerInnen und einige zehntausend junger Männer, die aufgrund ihres Dienstes in Armee oder Polizei nicht in der Statistik auftauchen.
Diejenigen KroatInnen, die einen Arbeitsplatz haben, verdienen im Durchschnitt 300 Mark monatlich – bei Preisen, die denen in Berlin, Bochum oder Buxtehude kaum nachstehen.
Für KroatInnen muß es in Anbetracht dieser Lage geradezu lächerlich klingen, wenn etwa der Bürgermeister von Montabaur klagt, die Probleme mit der Unterbringung und dem Unterhalt der Flüchtlinge in der hessischen Stadt hätten „ein kritisches Stadium erreicht“. Tatsächlich hat Kroatien mehr Flüchtlinge aufgenommen als jedes andere europäische Land. Insgesamt halten sich nach Zagreber Angaben 530.000 durch den Krieg vertriebene Menschen in Kroatien auf – rund 12 Prozent der Gesamtbevölkerung. 247.000 von ihnen stammen nach Angaben des „Amtes für Flüchtlinge und Vertriebene“ aus dem bis heute serbisch besetzten Drittel Kroatiens. An der Integration dieser offiziell als „Vertriebene“ bezeichneten Menschen wird staatlicherseits gearbeitet. Die 283.000 anderen kriegsbedingten MigrantInnen, meist muslimische BosnierInnen, werden als „Flüchtlinge“ bezeichnet. Sie sollen nicht integriert werden – dies sei in Anbetracht der wirtschaftlichen Schwierigkeiten unmöglich, heißt es entschuldigend aus Zagreb.
Tatsächlich sind Unterbringungs- und Verpflegungskosten der „Flüchtlinge“ und „Vertriebenen“ eine erhebliche Belastung für das kleine Land: Nach Angaben der kroatischen Botschaft in Bonn kosten die heimatlosen Menschen die Republik monatlich 62 Millionen Mark. Die 217 Millionen Mark Beistandskredit der Weltbank für die Unterbringung der MigrantInnen reichten 1993 also gerade einmal für dreieinhalb Monate. Übers Jahr gerechnet deckte die internationale Hilfe 1993 gerade mal 40 Prozent des Bedarfes ab, meldete die kroatische Botschaft in Bonn denn auch schockiert, als bekannt wurde, daß die Innenminister der deutschen Länder im Frühjahr dieses Jahres „ihre“ kroatischen Flüchtlinge nach Hause schicken wollen. Die Republik Kroatien könne keinesfalls für 80.000 bis 160.000 weitere wohnungs- und arbeitslose Menschen aufkommen, hieß es damals.
Daß die kroatische Seite am 24. April trotzdem das „Rückübernahmeabkommen“ unterzeichnete, lag in erster Linie daran, daß die Bundesrepublik massive Hilfen bei der Reintegration der nach Deutschland geflüchteten KroatInnen angekündigt hatte. So zumindest hatte Adalbert Rebić, Leiter des Amtes für Flüchtlinge und Vertriebene, seine deutschen Kollegen verstanden. Im Februar hatten die Innenminister der deutschen Länder noch vollmundig Hilfe beim Wiederaufbau der Infrastruktur angekündigt. Geplant war, circa 30 Millionen Mark zur Hälfte vom Bund, zur Hälfte von den Ländern bezahlen zu lassen. Schon damals aber erklärte die Bundesregierung, in Anbetracht der leeren deutschen Staatskasse sei derartiges zur Zeit nicht finanzierbar. Auch ihre Kassen seien leer, konterten die Länder. Und so kann derzeit von einem Wiederaufbauprogramm überhaupt keine Rede sein.
Die Suppe auslöffeln werden die bosnischen Flüchtlinge in Kroatien. Nur wenige Tage, nachdem die deutschen Innenminister mitgeteilt hatten, nun sei es an der Zeit, die kroatischen Kriegsflüchtlinge in Deutschland zu repatriieren, wurde einer Gruppe von MigrantInnen im Lager Gašinci der Flüchtlingspaß entzogen. Auf Anfrage einer zufällig anwesenden Delegation der Hamburger Grünen teilte Rebićs Amt mit, man wolle die kriegsbedingt in Kroatien anwesenden Staatsbürger der muslimisch-kroatischen Föderation Bosnien-Herzegowina langsam auf ihre anstehende Ausreise vorbereiten. Derweil geht die „ethnische Säuberung“ in der sogenannten „Serbischen Republik“ mit unveränderter Geschwindigkeit weiter. Rüdiger Rossig
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