: Der Boden bebt, der Schweiß perlt
■ Besuch bei einem der Schultheaterworkshops von „Theater macht Schule“
Der Boden bebt. Schweiß perlt. Zwanzig Schülerinnen toben und tanzen übers Linoleum. Franzi springt hoch in die Luft und versucht, graziös wieder aufzukommen. Die Landung glückt nicht ganz – wie auch bei einigen anderen – und wieder bebt der Aulaboden des Winterhuder Wilhelmgymnasiums. Die zehn- bis 16jährigen nehmen teil am Workshop „Tanztheater“ beim Schülertheater-FestivalTheater macht Schule. Diese Arbeitsgruppe ist nur eine der zehn verschiedenen Fest-begleitenden Workshops, die von Pantomime bis Jonglage reichen.
„Jeder Mensch kann tanzen, es muß nur sein Potential geweckt werden“, sagt Ian Owen, der Leiter der Werkstatt „Tanztheater“, und umreißt damit auch die Richtung des Festivals, bei dem jeder seinen speziellen Interessen entsprechend mitmachen und dazulernen kann. Und kaum hat er das erklärt, tanzt Owen schon weiter.
Franziska aus der Gesamtschule Winterhude ist nach ersten Unsicherheiten mit Spaß bei der Sache. Sie nimmt mit der Arbeitsgemeinschaft für „Darstellendes Spiel“ ihrer Gesamtschule teil, auch Betreuerinnen der AG arbeiten in der Werkstatt mit. Denn LehrerInnen können hier was lernen.
Daß die Tanzgruppe ausschließlich aus Schülerinnen besteht, stellt Owen, der mit seiner Gruppe Laokoon auch schon auf Kampnagel gastierte, vor ein Problem: „Wer tanzt den Faust?“ Denn am Abend ist eine kleine Darbietung aller Gruppen im TiK geplant, dazu hat Owen eine Choreographie zu „Gretchen am Spinnrade“ von Franz Schubert entwickelt, die einen Faust vorsieht. Man disponiert kurzerhand um, es funktioniert auch ohne Mann.
In einer ganzen Woche könne man sicher mehr lernen als in den eintägigen Workshops, erläutert Sigrid Einstein vom Planungskommitee, doch das „würde den Rahmen, aber auch den Sinn der Veranstaltung sprengen“.
Im Mittelpunkt der Werkstätten stehen das Kennenlernen und die Eindrücke und Anregungen durch die Profis, die später in der eigenen Arbeit in der Schule Früchte tragen sollen. „Das ist ja wie im Sport“, sagt Franziska, die das „Eindrücke-Sammeln“ beim Tanzen manchmal ganz schön anstrengend findet.
Der Halt in der Gruppe läßt auch am Abend vor dem Auftritt das Lampenfieber erträglich werden. Aufgeregt huschen alle durcheinander, aber als die Scheinwerfer aufblenden, sind sie eifrig und konzentriert bei der Sache: Eine Gruppe erzählt mittels Pizzakartons die eigene Biographie, eine andere läßt Körper zu Flammen werden, in einem dritten Stück stellt eine Schülerin eine Schöpfkelle als ihren neuen Freund vor.
Nicht alles klappt, doch unter den ungewohnten Bedingungen auf der Bühne ist auch ein heruntergefallener Jonglierball verzeihlich.
Franziska hätte fast ihren Einsatz verpaßt, doch Ines hat sie noch rechtzeitig angestoßen. Auch der „Faust“ ohne Faust geht glatt über die Bühne. Der Applaus von Lehrern, Eltern und Mitschülern läßt die durchlebten Krisen vergessen.
Vom Image verstaubter Klassiker hat sich Schultheater längst entfernt, der Ausdruck mittels moderner theatralischer Formen steht heute im Vordergrund, ebenso wie die Nebenlernziele Solidarität und Toleranz.
Und daß Franzi geistig behindert ist, ist in der Hektik kaum jemandem aufgefallen.
Christoph Arndt
Heute um 20.30 Uhr Abschlußfest für alle Beteiligten im TiK
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